Februar 2003
Mal umgucken. Nachdem jegliche Versuche, dem Winter 2002/2003 Richtung Kapverden zu entkommen, gescheitert waren, bin ich kurzentschlossen für drei Wochen mit zwei Freundinnen Richtung Asien entschwunden. Für zwei Wochen ging es auf die Philippinen auf die schöne Insel Mindoro (Bericht im Tauchteil). Und da Cathay Pacific eh in Hongkong zwischenlandet, bot sich ein fünftägiger Stopover auf dem Rückweg geradezu an.
Der erste Tag beginnt eigentlich noch in Sabang auf Mindoro. Um 4 Uhr müssen wir raus, um die erste Fähre rüber nach Batangas zu kriegen. Bei einer "Fähre" handelt es sich um ein schmales, etwa 20 m langes Holzbötchen, das zu jeder Seite Ausleger hat, damit es nicht umkippt. Und eben dies scheint die Mannschaft kurz nach unserem Ablegen vom Strand zu befürchten, denn als es im Heckbereich einen heftigen Schlag gibt, sodass ich schon denke, mir fliegt hier gleich die Schraube um die Ohren, kramt die Crew erstmal die Schwimmwesten unter den Bänken hervor und verteilt sie an die 15 Mitfahrer. Das scheint aber irgendwie ganz normal zu sehen, die Einheimischen sahen nicht wirklich beunruhigt aus. In Batangas werden wir von einem einheimischen Angestellten des Tauchreiseveranstalters per Van abgeholt. Der junge Mann erweist sich als sehr redselig, ist Formel 1-Fan und erzählt von Michael Schumacher. Und offensichtlich hält er sich auch für ihn, nur das Michael Schumacher i.d.R. keine LkWs, Busse, vollbesetzte Jeepneys oder Brückenpfeiler in die Quere kommen. Überholen auf dem Standstreifen der Autobahn war noch das Harmloseste, was er drauf hatte. Auch das scheint auf den Philippinen aber irgendwie normal zu sein, denn er war nicht der Einzige. Nachdem wir wie durch ein Wunder endlich heil am Flughafen sind, denke ich, das war's, jetzt kann nichts mehr passieren. Ich ändere meine Meinung beim Start des Cathay Pacific-Jumbos, als die komplette Mittelreihe der "Overhead Compartments" (heißt das eigentlich auf Deutsch "Überkopf-Handgepäckablage"?) in so starke kollektive Vibrationen ausbricht, dass ich denke, hier bricht gleich der Flieger auseinander oder zumindest bekomme ich 500 kg Handgepäck auf die Birne - was für ein dämlicher Tod. Doch nichts passiert, bei Erreichen der Reiseflughöhe ist auch der Handgepäckablage wieder besser und wir erreichen eineinhalb Stunden später bei strahlendem Sonnenschein Hongkong.
Im Jahr 1998 hat der neue Flughafen Chek Lap Kok auf Lantau, etwa 40 km westlich Hongkongs eröffnet, sodass man nicht mehr in den Genuss kommt, beim Landeanflug auf Kai Tak in die Wohnzimmer der Kowlooneraner zu gucken. Dafür hat man bei der Fahrt vom Flughafen in die Stadt einen prima Blick auf die 1997 eröffnete Tsing Ma Bridge, ein gigantisches Bauwerk und mit einer Gesamtlänge von 2,2 km und einer Spannweite von 1377 m zum Zeitpunkt ihrer Eröffnung die zweitlängste Hängebrücke der Welt. Stand 2024 rangiert sie nur noch auf Rang 16, was sie nicht weniger eindrucksvoll macht, insbesondere in voller Beleuchtung bei Nacht. Nach einer guten Stunde Fahrt erreicht unser Hotel-Shuttlebus unser Hotel auf Hongkong Island, das Island Pacific Hotel. Irgendwie hatte ich bei 45 EUR pro Nacht, was für Hongkong ein ziemlicher Freundschaftspreis ist, eine billige Absteige erwartet mit Klo am Flur und fließend kaltem Wasser oder so. Daher bin ich baff, als wir auf einmal vor einem Luxushotel stehen und uns der Concierge schnell mal zwei Boys ranholt, um uns die Rucksäcke und Koffer hinterherzuschleppen. Die ganze Empfangshalle erstrahlt in güldenem Glanz und eine ältere Chinesin scheint den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als alles blitzeblank zu polieren. Ich komme mir in meinen Jeans mit Matschmuster, dem zahnpastabekleckerten T-Shirt, das das einzige war, was noch nicht nach 4 Tagen Achselhöhle gerochen hat (sondern nur nach 2 Tagen), meinem sich langsam in Einzelteile auflösendem Tauchrucksack und dem 5-Tage-Bart doch etwas deplatziert vor zwischen den anzugtragenden chinesischen Geschäftsleuten in ihren Lackschuhen und Lederaktentäschchen. Die Jungs und Mädels von der Rezeption lassen sich aber nichts amerken und nach einer ausgiebigen Dusche sind wir dann auch sogleich bereit für die Zivilisation.
Nachdem wir erstmal den Blick vom 25. Stock aus genossen haben, erkunden wir die Strassenzüge, des Bezirks "Western", in dem unser Hotel liegt. Als Erstes fällt mir der unglaubliche Lärm auf, der in Hongkong herrscht. Tausende Busse, Taxen, Autos, LkWs und die bimmelnden Trams sorgen für eine Geräuschkulisse, die sogar Bangkok übertrifft, wobei ich immer dachte, Bangkok sei in puncto Lärm und Smog nicht zu übertreffen. Hongkong kann, zumindest was den Lärm angeht, mit Smog gab es eigentlich keine Probleme. Dafür ist die Atmosphäre einmalig, in den kleinen Läden im Erdgeschoss der Wolkenkratzer kann man alles Mögliche und Unmögliche kaufen, von asiatischen Gewürzen über Aphrodisiaka, an dessen Wirkung wohl niemand außerhalb Chinas glaubt, bis hin zu Geckos am Spieß. Nein, das ist kein Witz, die Eßkulturen sind halt verschieden. Unangenehm aufgefallen sind mir die vielen Läden, in denen man Haifischflossen kaufen kann, Hongkong ist neben Tokio der weltgrößte Umschlagplatz für Haiprodukte. Dass Haie vom Aussterben bedroht sind, hat sich hier offensichtlich noch nicht rumgesprochen und wenn doch, würde es keinen interessieren, weil sich mit Haien einfach ein Haufen Geld machen lässt - in Hongkong leider nur mit toten Haien. Wie auch immer, mit dem Schlendern durch die Straßen kann man einen ganzen Nachmittag verbringen, was wir auch tun, hier mal reinschauen, da mal eine Bäckerei mitnehmen und zwischendurch noch ein Snack an einem der vielen asiatischen Garküchen und Imbißbuden. Den Tag ausklingen lassen wir im George Memorial Park, einer kleinen Oase inmitten der Häuserschluchten. Wobei ich das Wort "Park" hier ja schon etwas übertrieben finde. Der Georg-Erinnerungspark ist ein Fußballfeld im Kleinformat mit ein paar Bäumen und Sitzbänken drumrum, das war's. Allerdings ist in Hongkong Platz so knapp und Grün so rar, dass jede 10 mal 10 Meter große Rasenfläche mit einem schlecht gepflegten Gestrüpp schon als Park deklariert wird, den die Hongkongianer dann auch gerne nutzen, um etwas abendliche Erholung zu suchen und der Kunst des Tai-Chi nachzugehen oder 50 300 m-Runden um besagtes Kleinfeld zu joggen. Nix für mich, ich brauch' 'nen Wald.
Nach dem Frühstück machen wir uns erstmal auf, herauszufinden, wie man in HK den ÖPNV bedient. Das ist superleicht, man kauft sich einfach eine Octopus-Card. Das ist eine Geldkarte, auf die man sein Guthaben einzahlt. In sämtlichen öffentlichen Verkehrsmitteln, wie U-Bahn, Tram, Minibus, Maxibus, Peak Tram, etc. pp. kann man damit zahlen. Einfach die Karte auf einen Sensor legen und der Betrag wird abgebucht. Das geht auch durch die Brieftasche hindurch, man braucht die Karte gar nicht rauszukramen. Das nicht verfahrene Guthaben bekommt man bei Rückgabe der Karte zurück.
Derartig ausgestattet erkunden wir zunächst den Western Market, was nichts anderes ist als eine Shopping Center in recht stilvollem Ambiente. Wobei die Hongkongnesen unter "Shopping Center" etwas anderes verstehen als wir. Es hat mehr so Mall-Charakter, viele kleine Läden unter einem großen Dach, in denen man jeglichen Ramsch kaufen kann, den man schon immer nicht wollte. Nichts für ernsthaftes Einkaufen jedenfalls. In der Fährstation, die von den beiden Türmen der World Trade Centers eingerahmt wird, frage ich den jungen Mann, der die Aufzüge bewacht und ein großes Schild "Information" auf seinem Schreibtisch stehen hat, nach einer Aussichtsplattform: "Scusi, is there a viewing platform somewhere in the building?" Er guckt mich an, bricht in strahlendes Lächeln aus, als hätte ich ihm gerade einen Lottogewinn überreicht und sagt: "Yes." - Schweigen - Lächeln - Schweigen. "Nice, where can I find it, please?", hake ich nach und im Brustton der Überzeugung, kommt als Antwort: "Yes!". Lächeln - Schweigen - Lächeln. Merke, wenn ein Chinese lächelt und "Yes" sagt, hat es überhaupt keinen Sinn, eine zweite Frage zu stellen, er hat sowieso kein Wort verstanden. Frage mich nur, wie dieser Mensch an das Schild "Information" gekommen ist. Wohlgemerkt, wir befinden uns in einem Bankenhochhaus und nicht im Stundenhotel um die Ecke. Wir lassen also die Aussicht Aussicht sein und nehmen eine der seit über 100 Jahren operierenden Trams zum Central District. Die Trams sind echt ein Erlebnis, superkurz, damit sie um die scharfen Kurven kommen, doppelstöckig und alles rappelt und knarzt vor sich hin, dass es eine wahre Wonne ist. Ein krasser Gegensatz zu den hypermodernen Schnellbahnen der MTR (Mass Transit Railway), mit denen ganz Hongkongs 7 Millionen Einwohner unterirdisch durch die Stadt rauschen, was den Zeittakt von 2 Minuten erklärt.
Im Central District geht's erstmal in den Tower, der auf den schönen Namen "Central Plaza" hört und mit 374 m Höhe (noch) das höchste Gebäude Hongkongs und das achthöchste der Welt ist - die Hongkonger arbeiten daran. Im 46. Stock des innen in edlem Marmor gehaltenen Gebäude soll es, na was wohl, eine Aussichtsplattform geben. Diesmal hat es eine nette Dame mit einem Schild "Information" auf dem Tisch und siehe da, in fließendem Englisch erklärt sie uns höflich aber bestimmt, dass leider alles dicht hat und wir auf gar keinen Fall da rauf können. Ich hasse Sonntage. Stattdessen drehen wir eine Runde durchs architektonisch recht ansprechende Convention Center, an dem die Teilnehmer des gerade stattfindenen Hongkong Marathon durchs Ziel hecheln. Na ja, auch mit Training wollte ich hier nicht teilnehmen, die Strecke führt über die breiten, für die Läufer zur Hälfte abgesperrten Highways und ich meine, auch vier oder fünf Zuschauer am Straßenrand gesehen zu haben. Dann doch lieber Köln oder Berlin.
to be continued...