Dezember 2014
Genüsslich schlürfe ich den Abschieds-Pina Colada im Voli Voli-Resort auf Fidschi und überfliege die in den letzten drei Wochen eingegangenen E-Mails. Die Personalabteilung fordert mich auf, doch bitte möglichst viele meiner 9,5 Tage Resturlaub noch in diesem Jahr zu nehmen. Ob das meine Kunden auch gut finden, 50 Tage Urlaub im Jahr sind schon etwas dekadent!? Da aber eine Freundin, die ich vor 2 Jahren auf den Azoren kennengelernt habe, schon gefragt hat, ob ich nicht eine Woche mit auf Tauchsafari zu den Brother Islands komme, lasse ich mich nicht lange bitten und buche mich über Deep Blue Cruises für das "Eisbären-Special" auf der "Firebird" ein. Dann flugs noch einen Flug bei Air Berlin gebucht, die trotz des höheren Flugpreises aufgrund der besseren Freigepäckkonditionen den Zuschlag vor Condor erhalten, und schon ist Teil 1 der Winterflucht 2014/15 unter Dach und Fach.
Knapp zwei Monate später geht's ab nach Hurghada, wegen der frühen Ankunft des Fliegers werde ich mit einigen anderen der aus aller Herren Städte eingetroffenen Mitreisenden zunächst ins Büro von Deep Blue Cruises verfrachtet, wo wir ein paar Stunden totschlagen, bevor es am Nachmittag weiter zum Pier am Giftun Village geht, wo die Firebird vor Anker liegt. Dem Safari-Preis von 689 EUR angemessen ist die Firebird ein Mittelklasse-Boot. Die mit eigenem Bad ausgestatteten Kabinen sind recht klein, bieten aber noch genügend Stauraum für Klamotten und Fotoausrüstung. Geräumig geht es auf den Etagen darüber zugange, der Salon ist riesig, das mit gemütlichen Sofas und Sitzkissen versehene Oberdeck kann ebenfalls alle 16 Tauchgäste gleichzeitig beherbergen. Etwas enger wird es ganz oben auf dem Sonnendeck, wenn sich alle gleichzeitig braten lassen wollen, was aber wohl eher selten der Fall ist. Nach dem obligatorischen Bootsbriefing kommen wir schon mal in den Genuss der absoluten ausgezeichneten Küche, 4x am Tag darf man sich auf der Firebird auf Nahrungsaufnahme freuen. Nach einigen Gute-Nacht-Bierchen sinken wir in die Kissen. Da wir die Nacht noch im Hafen verbringen, ist eine geruhsame Nacht gesichert.
Nach dem Frühstück tuckern wir los und steuern zum Eingewöhnen zwei Tauchplätze vor Hurghada an. Der erste Platz heißt El Arug. Mollige 23 Grad Wassertemperatur begrüßen uns, ich hatte jetzt im ägyptischen "Winter" mit einigen Graden weniger gerechnet. Viele mit Feuerkorallen besetzte Ergs prägen die Szenerie, in denen tonnenweise Fahnenbarsche rumwuseln. Alles hübsch bunt und nett, halt das übliche entspannte Badewannentauchen, welches man von den landnahen Riffen im Roten Meer kennt. Zum Abschluss müssen wir noch beweisen, dass wir unsere Maske ausblasen können und dürfen als Vorbereitung auf die Brothers Bojenschießen üben.
Platz 2 ist das Abu Ramada Plateau. Anderer Platz, gleiche Szenerie. Ich finde Drachenköpfe ja eher langweilig, aber wie man sie hammermäßig in Szene setzt, demonstriert Mio, besagte Azoren-Freundin, dann gleich mal eindrucksvoll. Ein wahrer Fotograf findet halt überall ein Motiv.
Nach dem Tauchgang packen wir zusammen und düsen los, bis zu den Brothers sind es 8-9 Stunden Fahrt. Es ist schon dunkel, als wir am Kleinen Bruder ankommen, wo wir das einzige Boot am Platze sind. Paradiesische Zustände – wenn auch nicht zur Freude der Einheimischen, die arg mit den Folgen der ausbleibenden Touristen zu kämpfen haben.
Für den ersten unserer drei täglichen Abstiege springen wir direkt von der Taucherplattform der Firebird und tauchen zur Südspitze des kleinen Bruders rüber. Gegen eine leichte Strömung geht es dann immer an der Südostseite entlang, die gegenüber der Erfahrung von vor 12 Jahren nichts an Farbe dazugewonnen hat. Wieso auch? Draußen im Blauwasser meine ich eine charakteristische runde Rückenflosse auszumachen, aber ein grauer Schatten zählt nicht als Longimanus-Sichtung. Ich hoffe ja schon, hier endlich mal einen zu sehen, wird langsam Zeit nach 17 Jahren Tauchen rund um die Welt. Graue Riffhaie gab's dagegen reichlich, trotzdem ist es immer noch nett, wenn die einen wie hier in kurzer Entfernung passieren. Wir kämpfen uns bis zu dem immer noch gut erhaltenen Feld aus Gorgonien vor, denen man die vorherrschende Strömungsrichtung gut ansieht und lassen uns dann mit selbiger wieder zurück zum Ausgangspunkt treiben, wobei uns eine mächtige Schule Großaugenbarsche noch einige Minuten aufhält. Wir werfen noch einen kurzen Blick um die Ecke, wo der Bewuchs deutlich schöner ist und sich anscheinend alle Flötenfische des Roten Meeres auf einen Haufen zusammengerottet haben. Nach einer Stunde ist der Spaß vorbei, sehr netter Tauchgang für den Anfang.
Für den zweiten Tauchgang geht es mit dem Gummiboot in den äußersten Nordosten. Da sich die von Norden kommende Strömung am kleinen Bruder teilt, müssen wir die erste Hälfte des Tauchgangs ordentlich gegen die Strömung paddeln, um vorwärtszukommen. Dafür ist die Wand schön mit Stein-, Weich- und Fächerkorallen bewachsen, sodass sich die Mühe lohnt. Ein paar Barrakudas und Graue Riffhaie patrouillieren in einiger Entfernung im Blauwasser. Nach der Hälfte der Strecke erreichen wir die Stelle, an der sich die Strömung teilt, ab hier geht es locker flockig mit Rückenwind Richtung Südspitze. Mit 30 bar Restluft erreiche ich das Boot und wer kommt in diesem Moment vorbei? Genau, Freund Longimanus taucht direkt an der Leiter auf und begutachtet uns interessiert. Es ist nur ein kleines Exemplar, vielleicht 1,20 m lang, aber schon neugierig wie die großen. Ich bin jedenfalls happy, mit 5 bar Restluft klettere ich zurück an Deck: Tour-Ziel erreicht!
Für den letzten Tauchgang des Tages geht es mit dem Gummiboot zur Nordspitze, wo sich auf 37 m Tiefe eine Putzerstation für Haie befindet. Leider ist sie verwaist, aber immerhin ziehen im Blauwasser noch ein Grauer Riffhai und ein Hammerhai vorbei. Wir machen uns auf den Weg und schwimmen Richtung Süden an der Westseite entlang, wo die Sonne um diese Tageszeit ihre Strahlen auf den Korallen tanzen lässt und tolle Lichtspiele veranstaltet. Die Westseite ist trotz der Zehntausenden Taucher, die hier seit meinem letzten Besuch entlang getaucht sind, genauso schön bewachsen und toll anzuschauen, wie vor 13 Jahren, von Zerstörung ist nichts zu sehen. Ein toller Abschluss eines schönen Tauchtages.
Zum Start in den Tag gibt es das gleiche Spiel wie gestern Morgen. Am Gorgonienwald ist heute allerdings reichlich Betrieb, in der Nacht ist ein zweites Boot angekommen. Die Großaugenbarsche posieren wieder für die Kamera und an der Bootsleiter wartet auch heute schon ein Longimanus auf uns. Da schmeckt das Frühstück gleich doppelt so gut.
Da es heute zu viel Welle für das Gummiboot hat, springen wir wieder vom Schiff. Diesmal begutachten wir die Westseite, die auch bei nicht optimal stehender Sonne mit ihrem üppigen Korallenbewuchs toll anzuschauen ist. Etwas Großfisch zur Abrundung ist uns aber leider nicht vergönnt. Der fies kalte Wind sorgt für Gänsehaut beim Abrödeln. Da lernt man einen Kompressor, der auf dem Tauchdeck warme Luft von sich gibt, sehr zu schätzen.
Der Wind lässt auch im Laufe des Tages nicht nach, sodass wir zum Abschluss des Tages den letzten Tauchgang wiederholen. Bei der Rückkehr zum Boot beehrt uns zum 3. Mal ein Longimanus, der aber diesmal weit weg und in der tief stehenden Sonne nur schwer zu erkennen ist. Macht nichts, auch so war es ein überzeugender Auftritt des kleinen Bruders.
Nachdem alle zurück an Bord sind, lichten wir den nicht geworfenen Anker und fahren die paar Meter zum großen Bruder rüber, wo leider ebenfalls schon ein anderes Boot, die "Blue Melody" liegt. Na ja, verglichen mit dem früheren Bootsauflauf ist das Jammern auf hohem Niveau.
Wir hüpfen wieder direkt vom Schiff und tauchen zum Südplateau, wo es auf drei kleinen Hügeln Putzerstationen gibt. Leider gibt es nichts zu putzen, die Haie bleiben dem Plateau fern. Wir werfen einen kurzen Blick auf die Ostseite, aber der Bewuchs hier ist ebensowenig prickelnd wie die Südostseite des kleinen Bruders: im Wesentlichen Broccoli-ähnliche Korallen, sonst nüscht. Auf dem Weg zurück passieren wir eine Kröte, die sich in einer kleinen Grotte verschanzt hat, bevor uns ein handzahmer Napoleon unter der "Blue Melody" den Weg versperrt. Immer wieder schwimmt uns der Lippfisch an und kommt bis auf wenige Zentimeter heran. Ich bin nicht sicher, ob er einfach nur versucht, den lästigen, an ihm klebenden Schiffshalter an uns loszuwerden, was ziemlich schlau wäre. Zum Glück sind diese Versuche erfolglos. So verbringen wir 40 Minuten mit dem Nappi, der den ansonsten ereignisarmen Tauchgang rettet, bis wir nach 80 Minuten aus dem Wasser steigen.
Der Wind bläst weiter kräftig und lässt leider keine Fahrt zur Nordspitze zu, wo die Numidia schon ungeduldig auf uns wartet. Also geht es zur etwas geschützteren Ostseite, wo wir auf Höhe des Leuchtturms ins Wasser springen. Der Eindruck von vorhin bestätigt sich, die Ostseite ist korallentechnisch uninteressant. Wir dümpeln durchs Blauwasser, wo uns schnell ein Grauer Riffhai passiert und ziehen unsere Kreise übers Südplateau auf der Suche nach weiterem Großfisch. Man munkelt, dass hier regelmäßig auch Fuchshaie gesichtet werden. Heute ist aber Fehlanzeige. Immerhin wartet der Nappi diesmal unter unserer Leiter. 20 Minuten spielen wir noch mit ihm herum, bevor wir diesen sehr mauen Tauchgang beenden.
Am Nachmittag ist es endlich so weit, mit dem Schlauchboot geht es in den Norden, wo wir über der Numidia springen. Beim Abtauchen macht sich in der Ferne ein scheuer Longimanus davon. Wir schweben über das Schiff, es geht runter bis auf 40 m. Will man die Schraube sehen, muss man doppelt so tief runter, was die Guides sicherlich angesichts des in Ägypten gesetzlich vorgeschriebenen Tiefenlimits von 40 m wenig erheiternd fänden und auch 30 m unter meiner Wohlfühlgrenze liegt. Das Eindringen ins Wrack sparen wir uns, schon mit etwas Deko auf der Uhr geht es über den größtenteils zusammengefallenen Aufbauten nach oben, wo wir die einzig verbliebene Eisenbahnachse ablichten. Es gab mal eine weitere, die aber abgerutscht ist, nachdem ein Vollpfosten von Safariboot meinte, seinen Anker daran festmachen zu müssen. Nach 25 Minuten verlassen wir die Numidia und machen uns auf den langen Weg zurück, immer an der westlichen Wand entlang. Nach 10 Minuten Tauchzeit treffen wir auf die Maschine der Aida, deren Umrisse beim Blick nach unten 30 m tiefer zu erahnen sind. Die Westseite ist toll bewachsen und mit einigen Grotten und Tunneln gespickt, durch die wir uns hindurchquetschen. Mit der Rückkehr zum Schiff wird es daher nichts, nach 75 Minuten tauchen wir auf, setzen die Boje und lassen uns vom Schlauchboot einsammeln. Genialer Tauchgang zum Tagesabschluss, was nach dem beiden wenig überzeugenden Vorstellungen zum Tagesanfang auch dringend nötig war.
Der 4. Tag an den Brothers wird auch schon unser letzter sein, nur noch 2 Tauchgänge, bevor wir die Zelte abbrechen. Wir haben die Wahl, ob wir zum Südplateau möchten, um auf die Suche nach Fuchshaien zu gehen oder lieber nochmal zur Numidia fahren. Die Abstimmung endet 50:50, sodass die Gruppe gesplittet wird. Diesmal steigen wir auf 46 m ins Wrack ein, begutachten einiges Gerümpel, was da so rumliegt und durchtauchen auf der mittleren Ebene das Wrack. Anschließend hängen wir ziemlich lange oben an den Eisenbahnrädern ab und schaffen es gerade noch um die Ecke rum bis zur Aida, wo wir uns wieder vom Gummiboot einsammeln lassen. Zurück auf der "Firebird" erfahren wir, dass die anderen tatsächlich Erfolg hatten bei ihrer Fuchshai-Suche, zwei Exemplare sind um die Putzerstationen herumscharwenzelt. Hätte ich zwar auch gerne gesehen, aber man kann nicht alles haben.
Zum Abschluss gibt's Numidia, die Dritte, es wartet noch eine Ebene im Wrack, die wir nicht erkundet haben. Als ich bei 47 m das hektische Tankbangen höre, frage ich mich, ob Guide Hassan wohl mich meint, aber als ich 15 m unter mir zwei Tiefseetaucher im Dunkeln verschwinden sehe, bin ich sicher, dass dem nicht so ist. Also rein ins Wrack und umgeguckt. Ziemlich schwazz hier, eine Lampe ist beim Wracktauchen echt von Vorteil. Steil geht es im Wrack nach oben, bei 20 m kann man durch einige Löcher das Wrack wieder verlassen. Der Rest ist wie gehabt, schöne Korallen in schönem Licht gucken. Auch unsere Tiefseetaucher schaffen es glücklicherweise unversehrt zurück zum Schiff. Ob es unbedingt sein muss, sich während einer Safari, die für alle im Arsch ist, wenn was passiert, auf 74 m zu versenken, lasse ich mal dahingestellt.
Gegen Mittag sagen wir "Tschüss, Brothers!" und treten die Rückfahrt Richtung Safaga an, wo wir eigentlich noch einen Nachttauchgang einlegen wollen. Kurz vor der Ankunft erreicht uns allerdings die Hiobsbotschaft, dass die Mama von Guide Hassan heute gestorben ist. Einstimmig fällt daher der Beschluss, bis Hurghada durchzufahren, damit Hassan schnell von Bord und zu seiner Familie kann.
Der letzte Tag startet am Erg Somaya, einem Drifttauchgang entlang eines Plateus zwischen 15 und 30 m Wassertiefe. Einige der auf dem Plateau stehenden Ergs sind schön bewachsen. Unser Highlight ist heute aber eine Kröte, die sich von unseren Kameras nicht bei der Nahrungsaufnahme stören lässt. 20 Minuten hantieren wir mit ihr herum, bis die Luft alle ist und wir uns inmitten einer ordentlichen Brandung vom Schlauchboot einsammeln lassen.
Zum Abschluss gibt's nochmal Badewannentauchen in Reinform am Banana Reef. Die versprochene Adlerrochen-Schule kriege ich leider nicht mit und der Großteil des Meeresbodens gibt nicht allzu viel her, weswegen sich der Tauchgang überwiegend auf einen einzelnen, großen Erg konzentriert. Der ist allerdings wirklich sehenswert, schön bewachsen, voll des Lebens und mit reichlich Fotomotiven versehen.
Nach dem Mittagessen geht's zurück Richtung Hurghada, wo wir einige Stunden später eintreffen. Zeit zu dösen, die Ausrüstung zu trocknen und das obligatorische Tour-Fazit zu ziehen: Es war eine sehr lustige Tour mit jederzeit guter Stimmung und vielen spaßigen Mitreisenden. Was das Tauchen angeht, hat sich meine im Jahr 2006 manifestierte Einstellung nicht geändert: Offshore-Riffe ja, landbasiert nein. Die per Tagesboot zu erreichenden Riffe rund um Hurghada können mich nicht mehr hinterm Ofen hervorlocken. Die Brothers sind dagegen immer noch absolut eine Reise wert. Um ein paar Tage Resturlaub abzubauen, sowieso.