Blue Heron Bridge, West Palm Beach

Bahamas Tigerhai-Safari auf der Shearwater

April 2009

Als ich im Februar 2008 nach Galapagos reise, spiele ich schon seit einiger Zeit mit dem Gedanken, den Tigerhaien vor den Bahamas mal einen Besuch abzustatten. Jim Abernethy führt mit seiner Shearwater regelmäßig von Florida aus Tigerhai-Safaris durch, bei denen man mit etwas Glück auch die Möglichkeit hat, mit Bullenhaien und vor allem den einzelgängerischen und sehr scheuen Großen Hammerhaien zu tauchen. Von meinen Galapagos-Mitreisenden haben sage und schreibe die Hälfte diese Tour schon mitgemacht und alle sprechen mit Begeisterung von diesem Erlebnis, auch wenn die mit 14 Stichen genähte Wunde an Barbaras Hand davon zeugt, dass dieser Trip auch seine Risiken hat: Ein Zackenbarsch hat ihre Extremität mit Köder verwechselt und gleich mal herzhaft zugebissen. Nichtsdestotrotz beschließe ich, mich gleich bei meiner Rückkehr nach Deutschland anzumelden. Noch auf Galapagos erreicht uns dann die schockierende Nachricht, dass es vor wenigen Tagen einen tödlichen Unfall bei Jim gegeben hat: Ein österreichischer Taucher ist bei einem Ködertauchgang von einem Bullenhai gebissen worden und noch auf dem Weg ins Krankenhaus nach Miami an dem Blutverlust gestorben. Natürlich ist das ein gefundenes Fressen für die Medien, wilde Vermutungen über den Unfallhergang werden angestellt, die Kritiker von Ködertauchgängen sehen sich mal wieder in all ihren Argumenten bestätigt und die Boulevardpresse stellt zum zigsten Mal Haie als menschenmordende Bestien an den Pranger. Auch ich überlege angesichts dieses tragischen Unfalls kurz, ob ich unter diesen Umständen tatsächlich eine solche Safari unternehmen soll, brauche aber nur ein paar Tage, um mich dann trotzdem dafür zu entscheiden: 5000 Menschen sterben jedes Jahr auf deutschen Straßen, gebe ich deswegen das Auto fahren auf? Natürlich nicht, jedesmal, wenn ich mich ins Auto setze, akzeptiere ich das Risiko, dass mir etwas passiert. Und genauso akzeptiere ich in dem Moment, in dem ich mich in den offenen Ozean begebe, das minimale Risiko, als eines von 5 Todesopfern in die jährliche Haiunfallstatistik einzugehen - ein äußerst minimales Risiko, wenn man z.B. bedenkt, dass jedes Jahr weltweit mehrere tausend Menschen an Bienenstichen sterben. Natürlich setzt man sich bei geköderten Haitauchgängen einem größeren Risiko aus als beim Planschen in knietiefem Wasser oder ähnlichen Wassersportaktivitäten, aber jeder Haitaucher nimmt dieses Risiko bewusst in Kauf und es sollte ihm klar sein, dass er sich nicht in einem Zoo befindet. Aus meiner Sicht wäre es für die Haie vor den Bahamas eine Katastrophe, wenn sich diejenigen durchsetzen, die das Ködertauchen dort verbieten wollen, wie es bspw. vor Florida der Fall ist. Damit bricht der Haitauchtourismus dort zusammen und die Haie sind dem Abschlachten freigegeben, wie es in großen Teilen der Welt jeden Tag passiert. Auch in Florida ist das Anködern von Haien nämlich durchaus erlaubt, aber nur dann, wenn man sie dann auch tötet, einfach nur anschauen darf man sie in diesem Fall nicht. In was für einer kranken Welt leben wir eigentlich?

Wenn wir also in wenigen Jahren auch den letzten Hai zu Suppe verarbeitet haben und unsere Meere daher, nachdem wir das oberste Glied der Nahrungskette aus ihnen entfernt haben, ökologisch zusammenbrechen, werden vielleicht auch die Menschen, die Haie in den Weltmeeren nicht sonderlich vermissen würden, erkennen, dass ihre Ausrottung eine Das Stadtzentrum von West Palm Beach wurde in den letzten Jahren einer ausgiebigen Renovierung unterzogen. semi-intelligente Idee war. Bis es so weit ist, will ich mir das letzte Häufchen Hai-Elend noch anschauen und reise deswegen im April 2009 nach West Palm Beach, wo ich für einen Tag im äußerst fantastischen "Palm Beach Hibiscus" unterkomme. Dieses in einem pittoresken alten Holzhaus untergebrachte Bed & Breakfast liegt im Herzen von West Palm Beach direkt am City Place, dem zentral gelegenen Einkaufszentrum mit Dutzenden Shops, Restaurants und Cafes. Angeschlossen ist eine gut bestückte Outdoor-Bar, die nicht nur für Hostelgäste offen ist, sondern auch gern und viel von den "Locals" frequentiert wird.

Wohnhäuser an der Waterfront des Lake Worth Nach einer erholsamen Übernachtung im Hibiscus will der erste Urlaubstag totgeschlagen werden. Ich muss erst abends um 17 Uhr auf der Shearwater einchecken, von daher bleibt ausreichend Zeit, die Sehenswürdigkeiten West Palm Beachs auszukundschaften. Die nehmen sich allerdings ziemlich übersichtlich aus. Die Shops am City Place sind schnell durchstöbert, Zoo und Oldtimermuseum liegen weit ab vom Schuss, Strand gibt es keinen und die in meiner Bibel hochgepriesene Clematis Street ist tagsüber genauso hip und quirlig wie der Kölner Südfriedhof. Sehenswert finde ich eigentlich nur die Bedienungsanleitung für die Fußgängerampeln ... Eine 25-minütige Taxifahrt bringt mich abends dann zu Jim Abernethys Shop in der Nähe der Lake Park Marina. Nachdem der Papierkram erledigt ist, wird das Tauchgerödel samt seiner Besitzer auf zwei Pickups verladen und zum Hafen gebracht. Die Fahrt dauert handgestoppte 35 Sekunden, das hätten wir problemlos laufen können, aber zu Fuß gehen ist in Amerika eher unüblich und man soll sich ja den Gepflogenheiten der Gastgeber anpassen. Die Shearwater macht von außen gar keinen so kleinen Eindruck, wie befürchtet. Unter Deck zeigt sich jedoch, dass es die nächste Woche äußerst eng zugehen wird. Ich werde in einer düsteren Sechs-Mann-Koje im Bug untergebracht. Es gibt keinerlei Spinde, wir müssen Ankunft auf der Shearwater unsere Habseligkeiten strategisch auf dem Bett unterbringen. Die Doppelbetten sind so niedrig, dass man nicht aufrecht sitzen kann, das ganze Unterdeck versprüht heimelige U-Boot-Atmosphäre – nicht, dass ich schon mal auf einem war. Ansonsten gibt's nichts zu meckern, die Crew ist perfekt und sorgt für gute Laune, der Salon ist technisch 1-A ausgestattet, man merkt, dass Jim regelmäßig Profifotografen zu Gast hat. Sogar an Adaptern für die Ami-Stecker mangelt es nicht. Und was Chris, der Koch, in seiner Mini-Küchenzeile jeden Tag an Leckereien für uns zaubert, ist schon erstaunlich, selbst Geburtstagstorten kriegt er problemlos hin.

Die nächtliche Überfahrt zu den Bahamas ist bei 3 m-Wellen eine raue Angelegenheit, zum ersten Mal in meinem Leben werde ich in nüchternem Zustand seekrank und verbringe die Nacht kotzend über der Reling hängend auf dem Tauchdeck, schön durchnässt von der Gischt, die immer wieder über die Bordwand spritzt. Erholung geht anders, aber immerhin leisten mir dabei zwei weitere Gäste Gesellschaft.

Am Morgen erreichen wir West End auf Grand Bahama Island, wo Jim erst noch die Einreiseformalitäten erledigen muss. Interessanterweise werden die Ausreiseformalitäten für kommende Woche gleich mit erledigt, was uns auf dem Rückweg einige Stunden Umweg ersparen wird. An Tauchen ist wegen der Wellen und der damit verbundenen 1 m Sichtweite heute nicht zu denken und so verbringen wir den Tag mit "Surface Action": Zunächst werden durch wohlriechenden Köder, der in Plastikboxen an der Bordwand heruntergelassen wird, Haie zum Boot gelockt. Zuerst sind die Zitronenhaie da, sie wissen schon, was sie erwartet, wenn die Shearwater in der Gegend ist und werden dem Boot die ganze Woche folgen. Später lassen sich auch einige Tigerhaie blicken. Dies ist der Zeitpunkt, zu dem die mit Thunfischköpfen bestückten Angeln ausgeworfen werden. Die Tiger versuchen, einen der begehrten Köpfe zu ergattern, aber die Crew zieht die Angelschnüre jedesmal ein, sodass die Tiger hinter dem Kopf herwetzen und dabei immer mal wieder den Kopf aus dem Wasser strecken. Dabei können wir ihr imposantes Gebiss bewundern, mit dem sie problemlos Schildkrötenpanzer durchsägen können. Morgen gibt's das dann hoffentlich unter Wasser

Am nächsten Morgen hat sich das Wetter beruhigt. Wir tuckern zum Tiger Beach, dem Tauchplatz für den heutigen Tag, wo das Wasser gerade mal 6 m tief ist. Nachdem die Köderboxen im Wasser sind, heißt es Warten auf die Tiger. Die Wartezeit wird zu einem ausführlichen Briefing genutzt. Tigerhaie haben einen ausgesprochen schlechten Ruf, sie stehen auf Platz 2 der Haiunfallstatistik hinter dem Großen Weißen, wobei manche Haiexperten den Tiger in seiner Gefährlichkeit noch vor den Großen Weißen stellen. Andere Experten halten diesen schlechten Ruf dagegen für unberechtigt. So oder so, klar ist, dass Tigerhaie als Kuscheltiere denkbar ungeeignet sind, deswegen gilt es, einige wichtige Verhaltensregeln zu befolgen:

  • Regel Nr. 1: Die Köderboxen sind für Gäste absolut tabu, diese werden nur von der Crew angefasst. Zuwiderhandlung wird mit Ausruhen auf dem Boot geahndet. Dies gilt auch für Taucher, die sich nicht imstande sehen, die Anweisungen der Crew zu befolgen.
  • Das Tragen von Kopfhaube und Handschuhen ist Pflicht. Durch den starken Kontrast zu evtl. frei im Wasser herumtreibenden Köder sinkt die Gefahr, dass ein Hai eine Hand mit Köderfisch verwechselt.
  • Das Tragen von grellen Farben bei Flossen oder Anzug sollte vermieden werden. Jim hat die Erfahrung gemacht, dass Tigerhaie auf solche Farben neugieriger reagieren, als so manchem Taucher lieb sein dürfte, auch wenn andere Experten dies bestreiten.
  • Tigerhaie müssen immer im Auge behalten werden, man sollte ihnen niemals den Rücken zudrehen, sondern immer Augenkontakt suchen. Dies bedeutet permanentes Drehen und Wenden, um zu schauen, wo die Tiger sind, da sich manche gerne von hinten anschleichen, während sich andere eher von vorne nähern.
  • Die Dutzende Zitronenhaie, die um uns herumschwimmen werden, sind quasi lästiges Beiwerk. Sie haben keine Scheu vor Tauchern, rempeln einen auf dem Weg zur Ködertonne schon mal an, stellen aber ansonsten kein Problem dar.
  • Zu Tigerhais Leibspeise gehören auch luftatmende Wasserbewohner, wie Robben und Schildkröten, die von hinten, unten angegriffen werden, während sie gerade Luft schnappen. Die Wasseroberfläche ist daher für Taucher ein denkbar ungeeigneter Ort für einen längeren Aufenthalt. Zu den gefährlichsten Momenten gehört daher am Ende des Tauchgangs das Auftauchen. Aufgetaucht wird nur, wenn kein Tigerhai in unmittelbarer Nähe ist und das Wasser muss sofort verlassen werden. Komischerweise hat man uns in Südafrika genau umgekehrt gebrieft, dort war ein Aufenthalt auf dem Meeresboden streng verboten. Ob die Tiger da anders sind als ihre Kollegen aus der Karibik?
  • Sind nicht mehr als drei Tiger in der Nähe, darf man sich als Taucher frei bewegen, wobei man sich nicht von der Gruppe entfernen sollte. Ab vier Tigern werden alle Taucher in einer geraden Linie Schulter an Schulter auf den Meeresboden gesetzt. So kann man sich gegenseitig beim im Auge behalten der Tiger helfen.
  • Jeder Taucher bekommt einen ca. 1 m langen Plastikstab. Entschließt sich ein Tiger zu einer genaueren Untersuchung des tauchenden Lebewesens, kann man ihm den Stab senkrecht vors Maul setzen. Stößt der Tiger dagegen, wendet er sich wegen des unangenehmen harten Materials ab und setzt seine Untersuchung nicht fort. Wie wir in den folgenden Tagen sehen werden, funktioniert das tatsächlich sehr gut.
  • Kameras werden nicht fest am Jacket angeklickt. Sollte ein Tiger Gefallen an einer U/W-Kamera finden, sollte man nicht mit dem Hai darüber debattieren, sondern die Kamera einfach loslassen. In der Regel wird der Hai die Kamera irgendwann fallen lassen. Von den 16 Kameras, die bei Jims Touren bisher von Tigern entführt wurden, sind 15 wieder unversehrt bei ihrem Besitzer gelandet. Die eine Zerstörte gehörte Jim selbst.

Mit dem Plastikstab kann man sich gut allzu inquisitiver Haie erwehren. So gebrieft geht's alsbald ins Wasser, in dem sich aber zunächst nur zwei Dutzend Zitronenhaie tummeln. Etwas furchteinflößend sehen sie mit ihrem Dauergrinsen, welches permanent ihre Zähnchen zeigt, ja schon aus und mit einer Länge um 3 m können sie durchaus beeindruckende Größen erreichen. Schnell hat man sich aber daran gewöhnt, dass sie überhaupt keine Scheu vor uns zeigen und auf Tuchfühlung gehen, immer gegen die Strömung die Witterung der Köderboxen aufnehmend. Nach 3 Stunden im Wasser mit ihnen ignoriert man sie schon fast, selbst wenn sie sehr bestimmt frontal auf einen zusteuern. Nach zwei Tauchgängen, bei denen uns "nur" die Zitronen beehren, habe ich schon ein bisschen die Befürchtung, dass es nichts mehr gibt mit Tigern heute. Beim dritten Tauchgang ist es aber so weit, nach 30 Minuten taucht der erste Tiger auf. Es ist nur ein kleines Exemplar, kaum länger als die Zitronenhaie, aber viel massiger und alleine dadurch flößt er mir schon einen Heidenrespekt ein. So ganz sicher, was hier abgeht, scheint sich der Gute aber nicht zu sein, er kreist erstmal in angemessenem Sicherheitsabstand um uns rum, bevor er sich näher an die Tonne wagt. Offenbar gehört dieser Hai, der auf dem Namen "TC" hört, zur Gruppe der "Vorsichtigen": Jim teilt die Tigerhaie vor den Bahamas in drei Gruppen ein, die "Wilden", die "Vorsichtigen" und die "Supermodels". Die "Wilden" interessieren sich einen Dreck für Ködertonnen, um die einen Haufen laut blubbernder Neoprenfische schwimmen, sie bleiben in der Wildnis, man bekommt sie nicht zu Gesicht. Die "Vorsichtigen" sind grundsätzlich interessiert, sind aber sehr zurückhaltend und prüfen erstmal intensiv die Lage, bevor sie sich näher trauen. Oft schwimmen sie in großem Abstand in Kreisen um das Boot. Die "Supermodels" schließlich sind Tauchers Liebling, es ist ihnen scheißegal, ob da nun gerade ein, zwei oder zehn Taucher hocken, sie schwimmen da, wo sie wollen und wenn jemand im Weg ist, wird der halt umgeschwommen. Das bekannteste Supermodel heißt "Emma" und ist der vermutlich meistfotografierte Tigerhai des Planeten (und der einzige mit einer eigenen Facebook-Seite). Mehr als ein Mal hat Emma schon eines von Jims Schlauchbooten zu Kleingummi verarbeitet, was der Grund ist, warum Jim keine Schlauchboote mehr einsetzt. Es ist einfach zu teuer geworden, sechs Stück hat er schon verloren. Hinter 4,70 m Tigerhai (gemessen, als sie mal neben einem der Schlauchboote schwamm) steckt eben geballte Power. Wir hoffen jedenfalls, dass wir Emma während der Tour noch kennenlernen werden, heute ist sie jedoch nicht am Start.

Am nächsten Tag tuckern wir für weitere 4 Tauchgänge den Tiger Beach entlang. Schon beim ersten Abstieg - sofern man bei 6 m Wassertiefe überhaupt von "Abstieg" reden darf - haben wir Glück: "TC" ist wieder da und hat zwei Freunde mitgebracht "Milo" und "Relentless". Die einzelnen Individuen kann man an Merkmalen wie Form der Rückenflosse, Hautmusterung oder schiefem Mund unterscheiden. "Milo" erinnert mich spontan an "Hart", den gepierceden Makohai aus "Findet Nemo", denn Milo trägt einen Fischhaken im linken Maulwinkel, wohl ein unschönes Andenken von einer Auseinandersetzung mit einem "Sport"fischer. Bei drei Tigern gleichzeitig ist mir zuerst mal einigermaßen unwohl, insbesondere wenn alle drei aus drei unterschiedlichen Richtungen gleichzeitig auf einen zugeschwommen kommen. Welchem soll man denn da als erstes tief in die Augen schauen? Die Tiger machen aber allesamt einen entspannten Eindruck, ruhig ziehen sie ihre Bahnen direkt über unsere Köpfe hinweg, sodass wir ihr strahlend weißes Sägezahngebiss heute aus nächster Nähe begutachten können. Von dieser gemächlichen Schwimmweise darf man sich aber nicht zu nachlassender Aufmerksamkeit hinreißen lassen, Hektik ist Tigerhaien grundsätzlich fremd. Das ändert nichts daran, dass sie mit ungeheurer Kraft und Entschlossenheit zubeißen, wenn ein Objekt einmal ihr Interesse geweckt hat. Wachsamkeit ist also zu jedem Moment, zu dem man mit Tigerhaien im Wasser ist, angesagt. Insgesamt 5 Stunden verbringen wir heute mit ihnen, Zeit genug für über eine Milliarde Pixel. Rechtzeitig vor dem heute geplanten Nachttauchgang am Platz Turtle Seagrass, wo eine ausgedehnte Seegraswiese den ansonsten schneeweißen Meeresboden in sattem Grün erstrahlen lässt, werden die speziellen Tigerhaiköder aus dem Wasser genommen, denn Tigerhaie bei Nacht sind wegen der geringfügig eingeschränkten Sicht nicht wirklich zu empfehlen. So mischen wir uns nach Einbruch der Dunkelheit unter die restlichen 10 Zitronenhaie, die noch unter dem Boot ausharren, aber wirklich entspannt ist dieser Tauchgang nicht. Die Zitronen kommen mir äußerst nervös, wenn nicht sogar aggressiv vor, immer wieder stoßen sie frontal gegen die Kameragehäuse und werden so inquisitiv, dass ich mich mit dem Plastikstab meines Neoprens erwehren muss. Vielleicht bringen die hellen Tauchlampen, die zudem noch ein nicht zu unterschätzendes elektrisches Feld erzeugen, auch einfach nur die Haisinne durcheinander, ich weiß es nicht. Mir wird es jedenfalls im Wasser zu ungemütlich und so breche ich nach 25 Minuten den Tauchgang ab und lasse den Tag lieber bei einer entspannenden Horrorlektüre ausklingen.

Der vierte Tag auf See ist der erste, der den Namen "Tauchtag" verdient. Wir verlassen den Tiger Beach und steuern ein Korallenriff an, bei dem der Meeresboden immerhin eine Tiefe von 20 m aufweist. Hier am Platz Hammertime gibt uns Jim einen kleinen Einblick in die Geheimnisse der U/W-Haifotografie und mit welchen Tricks gearbeitet wird, um die Unterwasserwelt möglichst eindrucksvoll einzufangen. Überflüssig zu sagen, dass das geschickte Platzieren von Ködertonnen hierbei die entscheidende Rolle spielt. Die vielen Karibischen Riffhaie wissen das zu schätzen und patrouillieren in Gruppen immer schön brav zwischen der Shearwater und den Ködertonnen hin und her. Die mächtigen Zackis, die das Riff bevölkern, zeigen nicht nur Interesse an totem Fisch, sondern inspizieren auch die Kameras aus nächster Nähe. Wahrscheinlich haben sie eine Identitätskrise und wissen mit dem "Konkurrenten", der ihnen aus dem Objektiv entgegenblickt, nichts anzufangen. Beim zweiten und dritten Tauchgang lassen sich auch zwei Tigerhaie blicken, sodass ich mir für meine Solo-Ausflüge ein zweites Paar Augen am Hinterkopf wünsche. Die Tiger streifen aber nur gemächlich übers Riff und zeigen wenig Interesse für die Taucher, die ihnen unterwegs begegnen. Leider lässt sich Emma auch heute nicht blicken. Unserer leisen Enttäuschung über das Ausbleiben der dicken Mädchen begegnet Jim mit einer Anekdote von einem bereits ein paar Jahre zurückliegenden Trip. Damals hatten die Gäste bis zum letzten Tag auch nur vergleichsweise kleine Tiger bis max. 2,50 m gesehen und gefragt, wo denn endlich die dicken Brummer seien. Am letzten Tag tauchten dann auf einem Tauchgang sage und schreibe 15 Tiger auf, davon 10 mit einer Länge um die 5 m. Schon bald hat sich keiner der Gäste mehr beschwert und bis auf Jim und sein Team waren alle ganz schnell aus dem Wasser. Seitdem heißt dieser Platz wegen der enorm gigantischen Anzahl und Größe der Tiger nur noch "Ginormous". Und genau den werden wir morgen besuchen.

Das Setup an Ginormous ist das Gleiche, wie an Hammertime. Im Riff werden an strategisch günstigen Stellen Ködertonnen platziert, damit die Fotografen die Haie vor einem schönen Korallenhintergrund ablichten können. Sieht einfach besser aus als eintönig im Blauwasser. Wie schon gestern hat es auch hier haufenweise Zitronen- und Karibische Riffhaie und den ganzen Tag streunen auch drei Tigerhaie ums Riff herum. Seinem Namen wird der Platz heute aber leider nicht gerecht, die dicken Mädels lassen weiter auf sich warten, sodass ich zwischendurch sogar Zeit finde, mich um die kleinen Dinge an karibischen Riffen, wie Franzosenkaiser, Sägebarsche und - gottogott - Muränen zu kümmern.

Am vorletzten Tauchtag kehren wir zum Tiger Beach zurück, heute ist die letzte Chance auf die dicken Dinger, da wir uns morgen verstärkt um Hammer- und Bullenhaie kümmern werden. Und schon beim ersten Tauchgang haben wir Glück, gleich vier Tiger machen uns ihre Aufwartung und zu unserem großen Entzücken ist auch Emma dabei. Ihrem Ruf als Supermodel wird sie auch gleich gerecht, schnurstracks steuert sie auf die Tonne zu und begibt sich mitten ins Getümmel unter die Zitronenhaie. Auch vor Tauchern weicht sie nicht zurück, mit der Nase im Sand geht sie auf die Suche nach Fressbarem, keinen Kontakt zu Taucherflossen, Kameras oder Plastikstäben scheuend. Mit knapp 4,70 Körperlänge und einer vermutlich ähnlich großen Oberweite ist Emma Chef im Ring, die eher schmalbrüstigen Zitronenhaie sehen neben ihr wie Spielzeughaie aus. 2 x 2 Stunden lang haben wir mit Emma und ihren drei kleineren Freundinnen (fast alle Tiger am Tiger Beach sind weiblich) Spaß, sodass der letzte Tigertag ein voller Erfolg ist, ständig haben wir einen Tiger am Tank.

Noch in der Nacht brechen wir auf Richtung Süden und erreichen am nächsten Morgen unseren letzten Tauchplatz, der mit Fug und Recht den Namen End of the Map trägt. Hier am Arsch der Bahamas befindet sich einer der besten Hammerhaitauchplätze. Nun habe ich in Galapagos und Malpelo schon Rudel von Bogenstirn-Hammerhaien gesehen, ein einzelgängerischer Großer Hammerhai, der in seltenen Fällen bis zu 6 m lang werden kann, fehlt jedoch noch in der Sammlung. Die Chance, jetzt noch einen zu sehen, ist allerdings sehr gering, die beste Jahreszeit ist Mitte Februar bis Anfang April, jetzt Ende April sind die Hämmer schon weitergezogen. Nichtsdestotrotz werden die Hammerhaiköder dicht unter die Wasseroberfläche gehängt und gleichzeitig weitere Ködertonnen in 25 m Tiefe versenkt, die für die ebenfalls hier vorkommenden Bullenhaie bestimmt sind. Schnell sind die Tonnen am Meeresboden auch von einigen Haien umringt, sodass wir uns abwechselnd in Dreiergruppen Richtung Meeresboden begeben. Dort angekommen bin ich erstmal ein wenig verwirrt, dass ich statt der erwarteten Bullenhaie nur eine Horde Karibischer Riffhaie vorfinde. So klein und schmal habe ich jedenfalls Bullenhaie aus Südafrika nicht in Erinnerung, die Kollegen hier sehen für mich genauso aus wie die Karibischen Riffhaie vor 3 Tagen an Hammertime. So würdige ich die Haie 45 Minuten lang kaum eines Blickes und beschäftige mich lieber mit Barschen und anderen mittelmäßig interessanten Fischen. Zurück auf dem Boot handele ich mir dann Spott und Hohn ein, denn meine vermeintlichen Karibischen Riffhaie waren tatsächlich Bullenhaie - kleiner zwar, als die, die ich aus Südafrika kenne, aber auch Haie kommen halt nicht ausgewachsen auf die Welt. Ein Blick ins Bestimmungsbuch beseitigt meine letzten Zweifel und mir wird noch nachträglich schlecht, wenn ich daran denke, sonstwohin geguckt zu haben, nur nicht zu den 10 Bullenhaien, die hinter meinem Rücken hin und her geschwommen sind. Immerhin steht der Bullenhai auf Platz 3 der Haiunfallstatistik. Wenn man keine Ahnung hat - einfach mal auf dem Boot bleiben ... Nein, das tue ich natürlich nicht.

Leider warten wir vergeblich auf den Großen Hammerhai, also steigen wir nach 2 Stunden nochmal zu den Bullen hinunter. Jetzt, da ich weiß, dass es welche sind, begegne ich ihnen mit ganz anderen Augen. Täusche ich mich oder sind sie in den letzten 2 Stunden um mindestens einen Meter gewachsen? Vermutlich nicht, aber sie kommen mir tatsächlich etwas bulliger vor als beim ersten Mal, es ist schon lustig, welche Streiche das Gehirn einem spielt, wenn man nur mit einer bestimmten Erwartungshaltung ins Wasser geht. Ich lasse jedenfalls bei diesem Tauchgang keinen Bullenhai auch nur für eine Sekunde aus den Augen und verabschiede mich erneut nach 45 Minuten Richtung Wasseroberfläche von tollen Haitauchgängen vor den Bahamas.

Noch am selben Nachmittag geht es zurück nach West Palm Beach, wo wir am Abend eintreffen. Von Bord dürfen wir jedoch nicht, sonst würden wir illegal einreisen. Erst am nächsten Morgen taucht die mobile Einsatzgruppe der Immigration am Boot auf, sodass wir die Nacht noch auf dem Boot verbringen müssen. Nach kurzem Frühstück geht's dann schnurstracks zum Flughafen und über Atlanta zurück ins Rheinland, wo ich gedenke, meine Großfischsuche mit der Jagd nach dem Dackel fressenden Killerwels im Fühlinger See fortzusetzen ...

Video: Viel los am Tiger Beach [17:18 Min.]

Glückliche Buddies nach einer tollen Bahamas-Tour Ein letzter Blick zurück: das direkt am Atlantik liegende Palm Beach (links) ist von West Palm Beach durch den Lake Worth getrennt. Fazit: Man kann über Ködertauchgänge denken, was man will, ich bin davon überzeugt, dass man ohne Anködern kaum eine Chance hat, bestimmte Haiarten in freier Wildbahn zu erleben, da auch Großhaie wie Tigerhaie vor Tauchern, zumal wenn sie in Gruppen auftauchen, eine große Scheu haben und verschwinden, noch bevor man sie gesehen hat. Ich würde eine solche Tour daher, sofern der Anbieter ein Mindestmaß an Sicherheitsvorkehrungen einhält, jederzeit wieder machen. Völlige Sicherheit kann es in freier Natur natürlich nicht geben und ich muss auch zugeben, dass mir bei einigen Situationen nicht ganz wohl war. Insbesondere dann, wenn eine der Plastik-Ködertonnen zu Bruch geht und die Köderfische frei im Wasser treiben, wird es ungemütlich, vor allem die Zitronenhaie geraten dann ziemlich in Rage. Da zieht man sich besser schnell zurück und legt 5 m Wasser zwischen sich und die Haie, um nicht versehentlich gebissen zu werden. Am Wichtigsten ist, den Respekt nicht zu verlieren! Wer den Respekt vor Großhaien verliert, begibt sich auf ziemlich dünnes Eis.

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