Mai 2001
"Blech, nichts als Blech", antwortet Carlo, mit dem ich gerade eine geniale Woche Brothers-Tour auf der Sir Cousteau hinter mich gebracht habe, auf unsere Frage nach den Sehenswürdigkeiten der uns bevorstehenden, wracklastigen Nord-Tour vor die Küste Sinais. Dazu macht er eine etwas geringschätzige Miene, er ist halt doch mehr der Korallentyp. Ich freue mich trotzdem auf die Tour, vor allem freue ich mich, nach zwei Tagen Aufenthalt endlich aus Hurghada, der Katastrophenstadt am Roten Meer, wegzukommen. Ich kann es absolut nicht begreifen, dass es Leute gibt, die hier zwei Wochen mit Freude Badeurlaub machen. Die ganze Stadt besteht nur aus Hotels, es ist laut, alle 10 m wird man angequatscht, dass man irgendwelchen Ramsch kaufen soll und die Badestrände, wenn man sie denn als solche bezeichnen will, sind nun wirklich alles andere als traumhaft. Nichts wie weg also: rauf aufs blaue Meer.
Vom Check-Tauchgang am Manta Reef werde ich mehr oder weniger verbannt, Carlo will mich da nicht sehen, weil ich schon letzte Woche gezeigt habe, dass ich meine Maske richtig rum aufsetzen kann. Da ich der einzige Überlebende der Gruppe aus der Vorwoche bin, gibt es erst nochmal zwei lockere Eingewöhnungstauchgänge. Am Shaab Mahmoud seh ich während eines Tauchgangs vier fette - und zwar richtig fette - Riesenmuränen, während mir am Mushroom Reef ein Riesen-Kugelfisch begegnet, von dem man halb Japan mit Fugu versorgen könnte. Ich frage mich doch, warum die Viecher hier so groß werden. Bestimmt kippen unsere japanischen Tauchfreunde heimlich Wachstumshormone ins Wasser zur Sicherung ihrer Nahrungsversorgung. Von der Qualität der Nahrung können wir uns gleich selbst überzeugen. Ein paar Fischern kaufen wir zwei Eimer frisch gefischten Crayfish ab, den's zum Abendessen mit einer etwas merkwürdigen Sosse gibt. Trotzdem nicht übel.
Taucherisch geht's an Tag 2 auf See erst so richtig los mit einem Tauchgang an der Dunraven. Hatte mir ja schon ein bisschen mehr versprochen nach dem Bericht, den ich im Tauchführer vorher gelesen habe. Und wieder einmal ärgere ich mich über mich selbst, mit zu hohen Erwartungen ins Wasser gegangen zu sein. Jeder empfindet einen Tauchgang halt anders. Der Nachmittagstauchgang am Sha'ab Ali wird dann mehr oder weniger zu einem Fiasko. "Coral Bommies" haben sie uns versprochen, "pretty flat bommies" haben wir bekommen, im Wesentlichen nicht vorhanden. Hat wohl das GPS versagt, kann jedem mal passieren. Eigentlich wollten wir uns ja auch lediglich an das nächste Ziel heranpirschen, welches da irgendwo am Ali liegt.
Das ist nämlich die Thistlegorm, und da heißt es früh ins Wasser am nächsten Morgen. Glücklicherweise kriegen wir das auch hin und so haben wir an Tag 3 zwei Super-Tauchgänge dort. Für mich ist die Thistlegorm absolut der Höhepunkt der Tour, ich bin halt Blechfan. Damit ist das Tagwerk aber noch nicht getan, am Gobal Sorayer erwartet mich der anstrengendste Tauchgang meiner nicht vorhandenen Tauchkarriere. Die ersten 20 Minuten sind ja noch ganz spassig, aber dann bekommen wir es unerwarteterweise mit einer Gegenströmung zu tun, die sich gewaschen hat. Es ist kaum dagegen anzukommen, wir halten uns an allem fest, was irgendwie so aussieht, als ob es unser Gewicht halten könnte und schaffen es nach 30-minütigem Kampf mit Müh und Not zurück in die Bucht, wo es keine Strömung mehr hat. Meine Pumpe hämmert wie 'ne Dampfmaschine, ich hab lange nicht mehr bei einem 20 m-Tauchgang fast 200 bar in 50 Minuten durch den Reg gejagt. Wenigstens mein Buddy, "Mister 100 bar" hatte seine Freude. Behauptet er zumindest, aber so ganz glaube ich es ihm heute noch nicht. Vielleicht brauche ich ja auch erst noch ein paar meditative Übungen oder 10 Tauchgänge Embudu Express. Zurück auf dem Boot erfahre ich, dass das hier der Spot ist, an dem Rudi vor ein paar Jahren zwei Taucher verloren hat, die mit der Strömung abgetrieben worden und dann 60 Stunden übers Rote Meer gedümpelt sind, bis sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten. Also so ganz "unerwartet" kann die Strömung dann ja nicht gewesen sein. Wie auch immer, wir machen noch zwei weitere Tauchgänge hier und genießen - strömungsfrei - die wunderbare Flora und Fauna, die es an diesem Spot hat.
Tauchtag 4 beginnt mit einem sehr schönen Drifttauchgang am Gobal Kebir mit haufenweise Zeugs zu sehen und setzt sich fort mit einem Abstieg am Umm Usk, der in meinem Logbuch die Bewertungen "most stupid dive ever" und "für'n Popo" erhält. Dem Tauchplan nach sollten wir an einer halbmondförmigen Riffkante entlang tauchen und dann durchs Flachwasser zurück zum Boot. Da, wo uns das Zodiac absetzt, ist von einem Riff absolut null und nichts zu sehen, es hat einfach nur Sand. Genausogut könnte ich im Fühlinger See tauchen, nur ist die Sicht da wahrscheinlich schlechter und das Wasser kälter. Ich mache aus dem "Tauchgang" jedenfalls meine Snorkel-Experience #2. Über eine Stunde im Wasser, 50 bar verbraucht, schwimmen wär einfacher gewesen.
Der nächste Tag wird dann wieder richtig spassig, Tauchen am Abu Nuhas, wo ein Wrack neben dem anderen liegt. Wir suchen uns die Giannis D. für den 6.30 Uhr-Tauchgang und die Carnatic für danach aus. Beides sehr empfehlenswert. Alternativ hat man dort auch noch die Chrisoula K. zum Betauchen. Den Nachmittag verbringen wir am Sha'ab El Erg, das seine zwei Tauchgänge absolut wert ist.
Den Abschluss der Tour macht am nächsten Morgen ein toller Tauchgang bei Umm Gamar. Man taucht entlang eines Dropoffs und kann dann in 30 m Tiefe in eine Höhle eindringen, die nach einer Länge von 10 m in einer großen Kathedrale endet. Zu sehen gibt's zwar nichts außer Sand, aber wenn man ganz hart drauf ist, kann man sich seiner Flasche entledigen und sich in den engen Kamin zwängen, der sich an einer Seite der Kathedrale befindet. Wenn man nicht so gut im Luftanhalten ist, sollte man dabei seine Flasche hinter sich herschleifen. Ich bin weder gut im Luftanhalten, noch im Flaschen ziehen, daher weiß ich nicht, wie's hinter dem Kamin wohl weiter geht. Für uns ging's dann auch nicht mehr weiter, der letzte Tauchgang war getan und das schöne Hurghada hatte uns wieder.
Fazit: Eine tolle Tour, die sich lohnt, wenn man nicht unbedingt nur Korallen sehen will. Einige Riffe, die man besucht, sind nämlich ziemlich kaputt, am Abu Nuhas sind bspw. nur noch tote Korallen. Für Wrackfans aber sicher eine lohnende Angelegenheit. Müsste ich zwischen einer Woche Brothers und einer Woche Nordtour entscheiden, würde ich aber ganz klar die Brothers wählen.