Berge Andøyas im Morgengrauen

Orca-Schnorcheln in Norwegen

Januar 2018

Eigentlich ist es ja auch nicht weiter als bis nach Malle, aber wegen dreier Zwischenstopps in Oslo, Bodø und Narvik gestaltet sich die Anreise nach Nordnorwegen langwierig. Nach 13 Stunden unterwegs landet die Widerøe-Turboprop abends um 23 Uhr endlich auf der Landepiste von Andenes. Das Dörfchen liegt an der Norspitze Andøyas, welche wiederum die nördlichste Insel Vesterålens ist, einer Inselgruppe, die sich nördlich an die weitaus bekannteren Lofoten anschließt. Sven und Anja von Northern Explorers erwarten mich schon und kutschieren mich die paar hundert Meter zum Hotel Marena – in einem 2600-Seelen-Kaff gibt es keine weiten Wege.

Für Touris gibt es zwei Gründe, nach Andenes zu kommen: Wale und Nordlichter, wobei letztere schmückendes Beiwerk für erstere sind. Pottwale sind das ganze Jahr über vor der Küste zu sehen. Ich interessiere mich aber mehr für die Orcas, die den Heringsschwärmen folgen und vor allem in den Monaten November bis Februar in großen Gruppen anzutreffen sind. Getaucht werden kann mit ihnen nicht, aber diverse Veranstalter in Andenes bieten dreistündige Schnorchelexkursionen auf großen Schlauchbooten an. Northern Explorers verwendet dagegen ein kleines Fischerboot, mit dem man den ganzen Tag unterwegs ist und auf dem man sich zwischendurch auch mal aufwärmen kann — ein wesentlicher Grund, warum ich mich für diese Gruppenreise entschieden habe, die Northern Explorers in Kooperation mit Tauchertraum durchführt. Für "chirurgisch präzise Annäherungen an die Orcas" (O-Ton Sven) wird ein kleines Schlauchboot mitgeführt.

Leider ist die Lage aktuell etwas schwierig, wie mir Sven und die Schnorchlergesellschaft, die bereits seit fünf Tagen vor Ort ist und übermorgen abreist, bei einem mitternächtlichen Willkommensbier erzählt. In den letzten fünf Tagen war das Wetter so schlecht, dass an zwei Tagen die Ausfahrten ausfallen mussten. An den anderen Tagen waren immer "nur" vereinzelte, schnell ziehende Orcas vom Fischerboot aus zu sehen; keine Chance, mal zu ihnen ins Wasser zu springen. So ist die Reisegruppe nur bei einem Sprung ins Hafenbecken von Andenes nass geworden, um sich an die dort lebenden Robben anzupirschen. Da hoffe ich ja schon auf etwas mehr Glück bei den am Samstag startenden, sechs Tagesausfahrten, auch wenn alleine das Beobachten der Orcas vom Boot aus schon ein tolles Erlebnis sein muss.

Tag 1: DO, 18.01.

Da ich zwei Tage vor Tourstart angereist bin, habe ich am ersten Tag Zeit, per pedes die Umgebung zu erkunden. Nach dem hervorragenden Frühstück im Hotel mache ich mich kurz nach Sonnenaufgang um 10 Uhr auf Richtung Hafen. Ein eisiger Wind fegt durch die Straßen und lässt die -8°C wirken wie -20. Der Wellengang auf dem Meer lässt vermuten, dass es auch heute schwierig wird mit Orca-Ausfahrt, aber zwei Schlauchboote der Konkurrenz wagen sich dennoch hinaus. Mein Spaziergang führt mich vom Hafen zum Leuchtturm, neben dem man sich im Walmuseum über die Historie des Walfangs in der Region informieren kann. Damit wären alle "Sehenswürdigkeiten" des Ortes auch schon in einem Satz abgehandelt. Nach 2 1/2 Stunden Schlendern beende ich den Rundgang im Coop, einem der beiden Supermärkte des Dorfes. Für die alltäglichen Dinge des Lebens muss man in Norwegen etwa 50 % auf Deutschland-Preise draufpacken, Alkohol kostet das 2-3fache. Von daher: Kreditkartenkonto vor Abreise aufladen!

Um 13:30 Uhr geht die Sonne schon wieder unter. Zum Glück gibt es im Hotel Kabelfernsehen und WLAN. Ich finde es immer wieder bedenklich, dass man in vielen, vielen Ländern mitten in der Pampa und am Arsch der Welt schnelleres Internet hat als in Köln-Nippes. Norwegen macht da keine Ausnahme. Zum Abendessen versammeln wir uns beim Italiener am Hafen, aber überzeugen können mich Pizza und Pasta nicht. Na ja, kein Wunder, der Italiener ist auch eigentlich ein Türke. Vielleicht wäre er besser bei Döner geblieben.

Tag 2: FR, 19.01.

Heute ist Abreisetag für die Gruppe der letzten Woche. Das ist insofern ärgerlich, als ausgerechnet heute wettertechnisch der beste Tag für eine Orca-Ausfahrt ist. Da einige Teilnehmer erst um 14 Uhr fliegen und die letzte Woche leider nicht sonderlich erfolgreich war, lädt Sven zu einem Extra-Versuch im Schlauchboot ein. Und das Beste ist: Ich darf mit. Dick eingepackt schippern wir also bei Sonnenaufgang los. Auf dem Leuchtturm sitzt ein Mensch, der den ganzen Tag nichts anderes tut, als nach Walen Ausschau zu halten und die Boote zu den Meeressäugern zu dirigieren. Der Mensch arbeitet zwar für die Konkurrenz, aber eine Hand wäscht die andere und so bekommt auch Sven per Funk aktuelle Walprognosen. Nördlich des Hafens soll sich eine Gruppe Orcas aufhalten, aber als wir nach einer halben Stunde Schlauchbootfahrt am avisierten Platz ankommen, ist weit und breit nichts zu sehen. Blöderweise können diese Viecher ja auch schwimmen. Also machen wir uns auf die Suche und kreuzen gut zwei Stunden lang vor Andenes hin und her, bis die Kälte in die Glieder kriecht und die Mitfahrer darauf hinweisen, dass sie noch einen Flieger erwischen müssen. Leider ein Satz mit X. Grandios ist immerhin die Berg- und Fjordlandschaft Nordnorwegens, die im Dämmerlicht der tief stehenden Sonne vom Meer aus genial zur Geltung kommt.

Den Nachmittag verbringe ich vorm Fernseher mit der Handball-EM. Da sitze ich um 21 Uhr immer noch, als es plötzlich heißt: "Nordlicht-Alarm!". Die Nordlicht-App sagt für heute zwar eine Wahrscheinlichkeit von 0 % für "Aurora borealis" voraus, aber besser hört man auf die Einheimischen. Und tatsächlich: Am Leuchtturm zeigen sich erst nur verhalten ein paar grünliche Streifen am Himmel, die im Laufe des Abends immer intensiver werden, bis der ganze Himmel auf LSD zu sein scheint und die Nordlichter am Nachthimmel tanzen. Supergut, immerhin ein Urlaubsziel schon erreicht.

Mit dem letzten Flieger um 23 Uhr trudeln die übrigen 9 Mit-Orca-Gucker der nächsten Woche ein. Man kennt sich von diversen Reisen, Tauchertraum-Events und sonstigen Treffen. Das Wiedersehen nach einem Jahr mit großem Hallo ist ein hervorragender Anlass, dem Hotel beim Leeren seines Getränkekühlschranks behilflich zu sein. Ein Dosenbier (0,5 l) bekommt man hier für umgerechnet 8-9 EUR. Leider ist die Bar normalerweise nur bis 22 Uhr besetzt. Zum Glück hat Sven den Schlüssel ...

Tag 3: SA, 20.01.

Heute geht's richtig los, dick eingepackt in die wärmenden und schwimmfähigen Floating-Thermo-Anzüge, die uns von den nördlichen Erforschern zur Verfügung gestellt werden, entern wir die "Sjøblomsten", das kleine, hölzerne Fischerboot, mit dem die Orca-Touren durchgeführt werden. Eine Ausfahrt dauert normalerweise 6-7 Stunden, je nach Wetter und Orca-Aktivität. Man fährt in der Morgendämmerung los, um das nur wenige Stunden vorhandene Tageslicht optimal zu nutzen und schon bei den Orcas zu sein, wenn das Licht am besten ist. Dafür müssen allerdigs auch die Orcas mitspielen, was heute nicht der Fall ist. Stundenlang schippern wir durch die Gegend, bis wir schließlich noch 2 Bullen erspähen, deren markante, senkrechte Rückenflossen 100 m vom Boot entfernt die Wasseroberfläche durchschneiden – wohl dem, der ein Teleobjektiv dabei hat. Die erste Begegnung sorgt für viele Aahs und Oohs und lässt auf nähere Begegnungen hoffen. Für einen Sprung ins Wasser reicht es heute nicht, dafür braucht man entweder stationäre Orcas, was oft der Fall ist, wenn sie auf Heringsjagd sind, oder zumindest eine große Gruppe.

Den semi-erfolgreichen Tag beschließen wir beim Abendessen im Orion, einem Restaurant am Hafen mit norwegischer Küche. Der "Fischeintopf" schmeckt auch echt gut, nur kann ich diese kleinen Würfel, die wie eine Mischung aus Speck und Fisch schmecken, nicht wirklich identifizieren. Nach dem Essen frage ich den Kellner: "What's this, fish or meat?". Antwort: "It's fish!". "What kind of fish?", frage ich weiter. "Whale fish!". Na dann guten Appetit!

Tag 4: SO, 21.01.

Im Morgengrauen verlassen wir den Hafen zu unserem 2. Versuch. Schon nach einer Stunde sieht es auch ganz gut aus, der Leuchtturm-Spotter dirigiert uns zu einer Gruppe von ca. 10 Orcas, die Richtung Süden ziehen. Unsere drei unverwüstlichen Kaltwassertaucher, Silke, Beeke und Jörn schmeißen sich in die Trockis und dampfen mit dem Schlauchboot ab, während die Tropentauchfraktion das Geschehen noch aus warmer Entfernung beobachtet. In den nächsten zwei Stunden folgt ein Katz- und Mausspiel zwischen Schlauchbooten und Orcas: immer wieder anpirschen, um nah genug für einen Sprung ins Wasser zu kommen, um doch immer wieder abzubrechen, weil die Orcas rechtzeitig abtauchen, um nach ein paar Minuten ganz woanders wieder hochzukommen. Erinnert mich verdächtig an das Buckelwal-Schnorcheln vor Socorro vor 7 Jahren. Für einen Sprung ins Wasser reicht es wieder nicht, aber immerhin waren wir schon deutlich näher dran als gestern. Deswegen ist unsere Laune deutlich besser als die der Dorsche, die Sven und Frank für das Abendessen angeln, das es heute selfmade im Hotel gibt. Anschließend hält Eve, die im Hotel am Empfang arbeitet, einen Vortrag über die Orca-Forschung vor Andenes. Denn eigentlich ist Eve Meeresbiologin und erforscht seit ein paar Jahren im Rahmen ihrer Doktorarbeit die Lebensgewohnheiten der Orcas vor Andenes. Wichtigste Erkenntnis: Die Orcas sind nicht nur im Winter da, um nach Heringen zu jagen, sondern halten sich auch im Sommer vor der norwegischen Küste auf – wenn auch in viel geringeren Stückzahlen. Sie ernähren sich nicht nur von Heringen, sondern auch von vielen anderen Fischarten und im Gegensatz zur bisherigen Meinung auch von Robben. Einzelheiten zum Forschungsprojekt findet man auf https://www.norwegianorcasurvey.no.

Tag 5: MO, 22.01.

Die Geschichte von Ausfahrt Nummer 3 ist schnell erzählt: Es ist grau, es ist neblig und der stetig herabrieselnde Graupel macht aus den Orca-Spottern Schneemenschen. Am Mittag brechen wir die Ausfahrt ohne eine Sichtung ab und widmen uns im Hotel lieber einer heißen Tasse Tee. Zum Trost gibt es am Abend ein ganz hervorragendes Abendessen im Lysthuset Sørvesten Restaurant – von den Restaurants, die wie ausprobiert haben, die beste Adresse in Andenes. Vor allem der Nachtisch gibt nicht nur geschmacklich, sondern auch optisch was her. Daran, dass auch hier Walsteak auf der Speisekarte steht, muss man sich in Norwegen leider gewöhnen. Zum Tagesabschluss beglücken uns nochmal die Nordlichter mit einer spektakulären Show am Mitternachtshimmel.

Tag 6: DI, 23.01.

Nach der gestrigen Nullnummer wird es langsam Zeit für etwas Action, die Zeit wird allmählich knapp. Und wir haben Glück, schon bald dirigiert uns der Leuchtturm zu einer Gruppe von 30 Orcas. Leider sind auch diese nicht auf Heringsjagd, sondern auf der Durchreise nach Süden, wo die Jagdgründe dieses Jahr besser zu sein scheinen als vor Andenes. Da es aber vielleicht unsere letzte Chance ist, wird das Schlauchboot zu Wasser gelassen und vollbesetzt geht es auf Schwertwal-Jagd. Was folgt, sind mehrere Stunden à la Hase-und-Igel und erinnert mich sehr an die Segelfisch-Hatz vor der Isla Mujeres: Wir schmeißen uns vom Schlauchboot vor den Orcas in deren Schwimmrichtung ins Wasser, um einen kurzen Blick zu erhaschen. Das ist nicht immer einfach, denn in dem dunklen Wasser ist es ohne Referenz etwas schwierig, immer die richtige Orientierung zu behalten. Außerdem haben die Trockis mächtig Auftrieb, sodass man schnorchelnderweise nur sehr mühselig vorwärtskommt. Die Orcas weichen dann aus oder tauchen unter uns ab, um für mehrere Minuten in den dunklen Tiefen des Europäischen Nordmeers zu verschwinden. Also alle Mann und Frau wieder rauf aufs Boot, hinterher brettern und die Orcas in der vermuteten Schwimmrichtung überholen, bevor sie wieder an die Oberfläche kommen. Dann geht die Prozedur von vorne los. Den lieben kurzen Tag geht das so. Wir schaffen ca. 10 Sprünge, bei denen ich es genau 2x schaffe, die Orcas unter Wasser zu sehen. Klingt armselig, aber diese beiden Augenblicke waren die Reise für mich schon wert. Als Meeresliebhaber geht einem schon das Herz auf, wenn eine ganze Orca-Familie samt Baby an einem vorbeischwimmt und sie genauso neugierig zurückgucken, wie man sie selbst anstarrt. Zumindest kommt es einem so vor. Völlig enthusiastisch machen wir uns in der Nachmittagsdämmerung auf den Rückweg. Einziger kleiner Wermutstropfen: Die Orca-Bilder konnten bei fast allen nur auf die Festplatte im Kopf gebrannt werden, da die Kamera-Akkus bei -8° Luft- und 4° Wassertemperatur ziemlich schnell ihren Geist aufgeben. Immerhin hat Silke das Geschehen in einem kurzen Video festgehalten.

Tag 7: MI, 24.01.

Nach dem grandiosen gestrigen Tag hoffen wir auf weitere tolle Begegnungen heute, aber das Blatt wendet sich schnell in Nordnorwegen. Die von Andenes nach Süden ziehenden Tiere haben die Gegend verlassen und die sich weiter nördlich um Tromsø aufhaltenden Kollegen sind noch nicht eingetroffen. So kurven wir den ganzen Tag orcalos herum.

Tag 8: DO, 25.01.

Die letzte Ausfahrt widmen wir den großen Brüdern der Schwertwale: Das ganze Jahr über lassen sich vor Andenes Pottwale beobachten, die sich einige Seemeilen weiter draußen aufhalten, wo der Meeresboden bis in 1000 m Tiefe abfällt. Lange suchen müssen wir nicht, gleich ein halbes Dutzend Pärchen schwimmt vor der Küste herum, erholt sich ein paar Minuten an der Oberfläche von den Tauchgängen, um dann wieder für 20-30 Minuten in der Tiefe zu verschwinden. Den ganzen Tag über beobachten wir die Meeressäuger vom Boot aus. Geschnorchelt werden darf mit ihnen allerdings nicht, wie fast überall auf der Welt ist dies auch in Norwegen verboten. Eigentlich absurd für ein Land, welches als eines der letzten auf dem Planeten immer noch am Anachronismus des Walfangs festhält. Abschlachten erlaubt, angucken aus der Schnorchler­perspektive nicht. Wobei man dazu sagen muss, dass Norwegen keine Pottwale, sondern ausschließlich Minkwale jagt.

Das Farewell-Dinner gibt's nochmal svengemacht im Hotel und steht der Qualität der Restaurants in nichts nach.

Tag 9: FR, 26.01.

Der Abschied naht, mit der Mittagsmaschine verlasse ich Andenes als Letzter der Gruppe. Die Widerøe-Turboprop dreht diesmal eine Runde über die auch von oben ziemlich ansehnlichen Lofoten, bevor ich in Bodø in einen richtigen Flieger umsteige, der mich via Oslo – diesmal in nur knapp 7 Stunden – zurück nach Hause bringt.

Das Fazit der Reise? Es war schon toll! Orcas in freier Wildbahn sind einfach was anderes als die Kinderbespaßung im Duisburger Zoo Ende der 1970er (ein weiterer Anachronismus, der dringendst weltweit abgeschafft gehört). Auch die Natur Nordnorwegens ist grandios, sodass sich die Reise trotz meiner etwas dünnen Gesamtschnorchelzeit mit den Orcas von etwa 90 Sekunden auf jeden Fall gelohnt hat. Es ist aber sicherlich nicht jedermanns Sache, sondern in etwa vergleichbar mit den Segelfisch-Touren vor Yucatán (nur halt 40 Grad kälter): Wenn man Glück hat, ist man auf Wolke 7, wenn man Pech hat, gurkt man den ganzen Tag auf dem Meer herum, ohne was zu sehen, was ich psychisch immer etwas anstrengend finde. Also eher was für Enthusiasten würde ich sagen. Ein Naturerlebnis ist es aber so oder so.

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