März 2011
Um 8 Uhr morgens kann man am Horizont Land erkennen, zwei Stunden später erreichen wir San Benedicto, unsere erste Station an den Socorro-Inseln (Islas Revillagigedo). Die Inselgruppe besteht aus der Hauptinsel Socorro und den drei kleineren Inseln San Benedicto, Roca Partida und Clarion. Wie alle Inseln der Gruppe ist auch San Benedicto vulkanisch. 1952 hat sich der Vulkan ähnlich wie der Mount St. Helens 28 Jahre später selbst in die Luft gejagt. Die bei diesem Ausbruch ausströmende Lava hat an der Nordseite der Insel eine neue Landzunge gebildet und die Fläche der Insel auf etwas über 6 km² vergrößert. Wir ankern an der windgeschützten Südseite, wo schon die Tauchsafari-Konkurrenz von der Solmar V und der Sea Escape festgemacht hat. Da es hier nur einen Tauchplatz gibt, ist Abstimmung zwischen den Booten besonders wichtig, damit unter Wasser kein Ägypten-Feeling aufkommt.
Der eine Tauchplatz an der Südspitze heißt The Canyon und soll einer der weltbesten Plätze für Mantabegegnungen sein. Dass dieser Ruf nicht von ungefähr kommt, stellen wir beim ersten Tauchgang gleich fest. Wir haben den Kopf noch nicht ganz unter Wasser, da taucht auch schon der erste der Riesenrochen unter uns auf. Er kommt hierher, um sein Gefieder von lästigen Plagegeistern befreien zu lassen. Die hierfür zuständige Putzkolonne besteht vorwiegend aus Clarion-Kaiserfischen und Barbier-Falterfischen, die ihre Dienste an mehreren Putzerstationen entlang des Drop-Offs, an dem das Plateau von 20 m auf über 100 m abfällt, anbieten. Neben dem Putzen haben die Mantas aber auch Gefallen an enger Interaktion mit Tauchern gefunden. Seit etwa 10 Jahren legen sie dieses Verhalten an den Tag. Das kann man von den Haien nicht gerade sagen, gerade Hammerhaie sind äußerst scheue Zeitgenossen. Auch sie nutzen gerne die Putzerstationen, bleiben aber auf Distanz, wenn es unter Wasser zu viel Lärm und Blasen gibt, weswegen wir uns in Kleingruppen in großem Abstand entlang des Drop-Offs platzieren. Helfen tut das leider nicht viel, die erhofften Haibegegnungen bleiben größtenteils aus. Nur einmal zieht in großer Entfernung eine kleine Schule vorbei, die aber aufgrund der trüben Sicht und des Vorhangs aus Stachelmakrelen, hinter dem sie sich verstecken, ziemlich dürftig zu erkennen ist. So bleiben die Mantas das Highlight unserer drei heutigen Tauchgänge am Canyon.
Unser zweiter Tag am Canyon bietet keine bahnbrechenden Änderungen gegenüber gestern. Die Mantas sind da, die Haie nicht. Ich starte zu einigen Solo-Erkundungen des Plateaus, aber außer den Langusten, die zu Dutzenden Schutz unter und zwischen den Felsen suchen, gibt es hier nicht viel zu entdecken. Zum Abschluss des Tages wechseln wir doch nochmal den Tauchplatz und gehen am Lava Flow ins Wasser. Die vom Berg herunterfließende Lava ist hier ins Meer geschwappt und hat eine pechschwarze Unterwasserlandschaft geformt. Weißspitzenriffhaie nutzen die Felsen als Unterschlupf und winzige Blennies haben sich in kleinen, in die Felsen gebohrte Röhren niedergelassen. Nicht wirklich spannend dieser Tauchplatz. Als ich nach 40 Minuten vor Kälte anfange zu zittern, beende ich die Erkundung vorzeitig.
Unmittelbar nach Ende des letzten Tauchgangs wird der Diesel angeworfen und die Anker gelichtet. Wir verlassen San Benedicto und machen uns auf den Weg nach Socorro, 40 Seemeilen entfernt. Gut vier Stunden dauert die Fahrt, dann ankern wir in der geschützten Bucht im Süden der Insel, an der sich auch die Marinebasis befindet. So gibt es noch eine ruhige Nacht und wir träumen von weiteren spannenden Unterwasserbegegnungen.
Strahlender Sonnenschein begrüßt uns zum Start der 2. Woche, was kein Wunder ist, da es in diesen Breiten nur an wenigen Tagen im Jahr regnet. Freudig nehmen wir auch die Anwesenheit der Buckelwale zur Kenntnis, die sich hier zwischen Januar und April zur Fortpflanzung und zum Kalben aufhalten. Bald werden sie zurück in ihre arktischen Sommerquartiere vor Alaska ziehen. Wir wollen die Gelegenheit nutzen und versuchen, mit diesen Giganten der Meere zu schnorcheln. Hierzu wird parallel zu jedem Tauchgang ein "Whaling"-Boot mit maximal sechs Walbeobachtern rausfahren, sodass jeder der 24 Traumtaucher 1x am Tag die Chance hat, Wale hautnah zu erleben. Dafür muss man halt einen der vier Tauchgänge ausfallen lassen.
Zuerst sind aber einige Formalitäten zu erledigen. Ein paar Soldaten der auf Socorro beheimateten Marinebasis kommen aufs Schiff, um uns zu inspizieren und zu überprüfen, dass wir keine illegalen Einwanderer an Bord haben. Außer den Soldaten und ihren Familien lebt auf Socorro keine Menschenseele. Vor 20 Jahren hat man vor einem befürchteten Vulkanausbruch die damaligen Bewohner von der Insel evakuiert. Ausgebrochen ist der Vulkan zwar nicht, die Bewohner durften aber trotzdem nicht zurück. Seitdem ist es auf der Insel noch stiller als vorher, die Lieblingsfreizeitbeschäftigung der Soldaten besteht im Abballern der eingeschleppten Ziegen.
Wir ballern, nachdem der Papierkram endlich erledigt ist, zur Ostspitze der Insel, wo sich einer der beiden Haupt-Tauchplätze Socorros befindet. Cabo Pearce (aka "Cabo Pierce") ist ein schroffes Kliff, das wie ein Finger ins Meer hinausragt und sich unter Wasser nahtlos fortsetzt. An seinen Seiten fällt der Finger senkrecht bis in unerreichbare Tiefen ab. Strategisch verteilt an der Steilwand befinden sich Putzerstationen, die vor allem von Mantas regelmäßig aufgesucht werden. Aber auch Hammerhaie soll man laufend antreffen, da es hier oft eine heftige Strömung hat, die Haie bekanntlich lieben. Wir sind gespannt.
Die Hoffnung auf Haie bekommt beim Sprung ins Wasser einen leichten Dämpfer. Es hat ein bisschen Strömung, die aber nicht wirklich der Rede wert ist. Wir drehen eine kleine Orientierungsrunde und grasen die Putzerstationen ab, bekommen jedoch zunächst nur kleines Fischgetier zu sehen. Dann tauchen 20 Minuten vor Tauchgangsende doch noch zwei Mantas zwecks Grundreinigung auf. Wie schon gestern vor San Benedicto haben sie auch hier keinerlei Scheu vor Tauchern.
Zwei Stunden später: Gleicher Platz, ähnliches Spiel, die Strömung hat etwas zugenommen. 30 Minuten lang passiert nicht viel, dann taucht ein Manta auf, der sich zunächst ein bisschen von den Clarion-Kaisern bearbeiten lässt. Irgendwann verliert er das Interesse an der Putzkolonne und gewinnt Interesse an uns. Immer wieder kreist er um uns herum, schwimmt Zentimeter über unsere Köpfe und übt sich mit uns in der Kunst des Synchronschwimmens. Vor lauter Spieltrieb verlieren wir etwas das Riff aus den Augen und treiben mit Mann und Manta mit der Strömung ins Blaue. Den Manta dürfte es nicht stören, aber für uns Taucher gilt eigentlich die klare Ansage, dass Verlust des Sichtkontakts zum Riff sofortiges Auftauchen ohne Sicherheitsstopp bedeutet. Irgendwie fühlt man sich aber mit acht Leuten im Wasser trotzdem sicher und das immer mal wieder über unseren Köpfen auftauchende Schlauchboot lässt uns vermuten, dass es unseren Luftblasen schon folgen wird. Nach 60 Minuten hat der Spaß ein Ende. Der Manta begleitet uns netterweise noch bis zum Sicherheitsstopp, dann tauchen wir auf – und erschrecken etwas. Die Strömung hat uns in den letzten 30 Minuten fast zwei Kilometer vom Tauchplatz weggetrieben. Zum Glück ist uns tatsächlich Kevin im Schlauchboot gefolgt und kommentiert unsere etwas leichtsinnige Vorgehensweise nur mit einem sarkastischen "Where do you wanna go? Hawaii?". Die Freude über den spielfreudigen Manta überwiegt allerdings bei weitem, mit breitem Grinsen im Gesicht rödeln wir uns kurz darauf auf dem Tauchdeck ab. Ein breites Grinsen im Gesicht hat auch Michael, der eine Manta putzende Kaiserfisch-Armada genauso auf Video verewigt hat wie einen großen Bogenstirn-Hammerhai. Es gibt sie also doch noch.
Leider erfüllt sich meine Hoffnung auf Haiflossen aber auch beim dritten Abstieg nicht. Dafür vernehme ich nach 30 Minuten Tauchzeit ein wohlbekanntes Pfeifen und Quietschen in den Ohren. Nein, es ist nicht der Tinnitus. Vielmehr beschließt eine Gruppe Tümmler, die außeraquatischen Lebensformen, die sich in ihrem Revier rumtreiben, genauer unter die Lupe zu nehmen. Sofort schalte ich auf Kasperlemodus, denn Delfine sind wie kleine Kinder: Man muss sie unterhalten, wenn sie anfangen sich zu langweilen, verschwinden sie sofort. So drehe ich einige Schrauben und Salti, bis die Pumpe mich daran erinnert, dass ich seit St. Wendel kaum noch trainiert habe. Trotzdem bleiben die Flippers ein paar Minuten bei uns und machen diesen Tauchgang zu einem echten Highlight.
Nach der abendlichen Spachtelei wechseln wir die Stellung und verlegen das Boot auf die Westseite der Insel, wo sich der zweite Haupt-Tauchplatz Socorros befindet mit weiteren Chancen auf Mantas, Haie und Wale. Dies und drei von Käpt'n Gordon bestens gemixte Tequila Sunrise lassen uns in süße Taucherträume entschlummern.
Die Westspitze Socorros hört auf den Namen Punta Tosca und ist sehr ähnlich zu Cabo Pearce: ein unterseeischer Bergrücken, vor Ewigkeiten gebildet durch ins Wasser geflossene und dann erstarrte Lava. Dementsprechend bezeichnet die Crew dieses Gebilde als "Lava Flow". Auf der Nordseite fällt der Rücken als senkrechte Wand in große Tiefe ab, während die weniger spektakuläre Südwand in 25 m Tiefe auf einer ausgedehnten Sandfläche endet. Der erste Tauchgang beginnt gut, nach nicht ganz einer Minute Tauchzeit schleicht sich in meinem Rücken ein Manta an und segelt an mir vorbei. Nach ein paar Runden verschwindet er im leider ziemlich trüben Blau. Das Ablichten der Langustenarmee, die das Riff besetzt hält, gestaltet sich schwierig, da die starke Dünung einen ständig vorwärts, rückwärts, seitwärts übers Riff schmeißt, sodass empfindliche Gemüter hier sogar unter Wasser seekrank werden können. So verziehe ich mich in den Schutz der Steilwand und schaue den Stachelmakrelenschwärmen beim Umherpatrouillieren zu. Nach 30 Minuten taucht der Manta wieder auf und bleibt für den Rest des Tauchgangs. Eine halbe Stunde lang dreht er ein ums andere Mal eine große Runde um die Taucherschar und scheint das Bad in der Menge regelrecht zu genießen. Mit dem letzten Rest Luft respektive der letzten Restluft sagen wir dem neuen Freund schließlich Lebewohl und tauchen auf.
Der zweite Tauchgang fällt für mich aus, denn es steht "Whaling" auf dem Programm. Den ganzen Morgen schon haben wir Wale in der Nähe gesichtet, sodass die Chancen auf Schnorcheln mit den Giganten der Meere größer Null stehen. Hierfür schleicht man sich mit dem Schlauchboot möglichst geräuschlos an eine – idealerweise stationäre – Walfamilie an, gleitet dann – idealerweise geräuscharm – ins Wasser, um sich dann – idealerweise lautlos – mit minimalem Flossenschlag den Meeressäugern zu nähern. Jede Form von Lärm wie laut knatternde Außenborder, ins Wasser hüpfende Schnorchler oder klatschende Taucherflossen verschreckt die Tiere. Sie suchen dann meist das Weite, was doof ist, da Wale deutlich schneller schwimmen und deutlich tiefer tauchen können als wir. So weit die Theorie.
Weit müssen wir nicht fahren, ein paar Hundert Meter von der Nautilus entfernt sonnt sich ein Walpärchen an der Oberfläche. Der Bulle ist gerade in Balzlaune und haut mit seinen Brustflossen immer wieder mit Schmackes auf das Wasser. Bald beruhigt er sich aber und das Pärchen schwimmt los und kommt uns entgegen. Wir hüpfen quasi geräuschlos mit lautem Klatschen ins Wasser und schnorcheln ihnen entgegen, aber so ein Wal ist halt nicht dämlich. Bevor wir uns versehen, versenkt sich das Pärchen in die Tiefe, sodass wir nur viel Blauwasser zu sehen bekommen. Also alle wieder rein ins Boot und das Meer beobachten. Nach ein paar Minuten Warten kommen die Kollegen 400 m entfernt wieder an die Oberfläche. Gründlich verarscht nennt man das wohl. Wir folgen dem Pärchen mit dem Schlauchboot, aber leider sind sie jetzt in Schwimmlaune, sodass es sinnlos ist, ins Wasser zu gehen, einem schwimmenden Wal kann man als Schnorchler kaum bis gar nicht folgen. Irgendwann tauchen unsere beiden Hübschen ab und war'n nie mehr gesehen. Stattdessen suchen drei Tümmler die Nähe unseres Bootes. Das ist zwar nicht ganz die Art Wal, auf die wir gehofft haben, aber trotzdem springen wir ins Wasser und schnorcheln ein paar Minuten mit ihnen. Die restliche Stunde der Ausfahrt tuckern wir in der Gegend herum. Immer mal wieder sichten wir Wale an der Oberfläche, aber jedesmal, wenn wir die Stelle ansteuern, verdünnisieren sie sich und tauchen dann irgendwo ganz anders wieder auf. Irgendwie erinnert mich die Aktion sehr an die "Hase und Igel"-Geschichte. Ich hasse es, der Hase zu sein. Der Erfolg der Ausfahrt ist jedenfalls beschränkt, wenn man den Erfolg in "Anzahl Schnorchelminuten mit Walen" misst. Allein ihre Anwesenheit ist natürlich schon genial, ich jammere hier auf extrem hohem Niveau.
Jammern tun auch unsere Tauchgenossen, die sich für den zweiten Tauchgang nochmal am Punta Tosca versenkt haben. Die Sicht ist noch schlechter gewesen als heute Morgen und die Dünung noch brechreizfördernder, sodass die Tauchguides beschließen, die Zelte hier abzubrechen und ruhigere Gewässer anzusteuern. Die stehen an der Südküste in einer ruhigen Bucht zur Verfügung, in deren Nachbarschaft sich die Marinebasis befindet. Die Nautilus ankert direkt über dem Aquarium, unserem ersten Tauchplatz hier. Der riesige Unterwasserfelsen erhebt sich bis auf eine Tiefe von 15 m unter die Wasseroberfläche. Ich erkunde zuerst die Südwestseite und lasse mich an der Steilwand fallen, bis der Meeresboden in 40 m Tiefe den Sinkflug stoppt. Laut vernehmlich schallen Walgesänge durchs Wasser, nicht weit entfernt muss sich ein Bulle befinden, der seiner Holden ein Liedchen trällert. "Nicht weit entfernt" ist allerdings relativ, denn unter Wasser sind die Gesänge kilometerweit zu hören. Jegliches Umherschauen und über die Schulter blicken bleibt demzufolge auch konsequent erfolglos, der "Singer" bleibt nur ein Ohrenschmaus. Dafür erweist er sich als sehr ausdauernd, volle 60 Minuten lang beschallt er uns mit Hintergrundmusik! Viel mehr gibt es von diesem Platz auch nicht zu berichten. Wie er zu seinem Namen gekommen ist, ist mit rätselhaft, fischmäßig gibt es kaum was zu sehen. Ins Auge fallen lediglich die vielen blitzend weißen Felsen, die sich kontrastreich gegen die ansonsten durch Algenbewuchs grünlich schimmernden Nachbarn abheben. Die Ursache ist schnell gefunden: Auf allem, was Weiß ist, hocken Dutzende Dornenkronen herum. Eigentlich ernähren sie sich ja von Steinkorallen, aber wo es daran mangelt, ist ihnen anscheinend auch vor Alternativen nicht fies.
Wir beschließen den Tag mit einem Erkundungstauchgang am Nordende der Bucht. Im flacheren Wasser schwimmen wir erst durch bizarre Felsskulpturen, bis wir die Abbruchkante des Riffs erreichen. Dann geht es immer an der Wand lang nach Norden. Unterwegs begegnen wir elektrischen Rochen, schlecht gelaunten Zackis und einem endemischen Einheimischen, dem Clarion-Riffbarsch. Mit seinem bunten, flashy Flossenkleid ist er durchaus was fürs Auge, sodass auch dieser Tauchtag ein erfreuliches Ende findet.
Unser 3. Tauchtag vor Socorro steht wieder voll und ganz im Zeichen von Cabo Pearce. Wie schon zwei Tage zuvor kreiseln wir mit Mantas und albern mit einem Rudel Delfine herum. Dazu prüfen wir den Zahnstatus einer Zebramuräne, rücken ein paar Flundern auf die Pelle, geben uns bei den Clarion-Kaisern als Großfisch aus und wundern uns, ob der Name des Schweinslippfisches nicht doch "Hase" ist. Beim Sicherheitsstopp des 4. Tauchgangs hänge ich schon ganz verträumt am Ende des Abstiegsseils und will gerade Feierabend machen, als Birte 15 m unter mir am anderen Ende des Seils auf einmal komplett austickt. Hektisch deutet sie zum Riff, schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und bricht in minutenlange Jubelarien aus. Auch mit zusammengekniffenen Augen kann ich leider nicht erkennen, was wohl der Auslöser dieses epileptischen Anfalls gewesen sein könnte. Auf dem Schlauchboot klärt sich das Rätsel schnell, eine Buckelwal-Mama mit Kalb ist direkt über dem Tauchplatz abgetaucht. Auch von der Nautilus Explorer aus hat man den alleinerziehenden Meeressäuger gut sehen können und die Leute beneidet, die noch im Wasser waren, denn einen 12 m-Koloss direkt vor der Nase kann man doch einfach nicht übersehen! Leider falsch gedacht, Birte ist die einzige Glückliche, die die Walfamilie gesehen hat und zu Recht bekommt sie den ganzen Abend das Grinsen auch nicht mehr aus dem Gesicht.
Unser letzter Tag vor Socorro beginnt wieder am Punta Tosca. Die Sicht ist etwas besser als vorgestern und die Dünung etwas weniger schauklig. Wir folgen dem Lava-Flow in die Tiefe und kriegen tatsächlich mal einen Hai zu sehen! Ein Galapagoshai zieht umher und macht sich bei unserem Anblick alsbald von dannen. Auf dem Rückweg wartet schon ein Manta auf seine Spielkameraden (also uns), wird aber jäh von einem halben Dutzend Großer Tümmler verjagt. Für uns auch ok. Ein paar Langusten kloppen sich noch um den besten Platz im Riff und ein paar Taucher um den besten Platz beim Sicherheitsstopp, dann ist auch dieser gute Start in den Tag schon wieder beendet.
Der zweite Tauchgang am Punta Tosca wird dann extrem entspannt. Beim Anschalten der Kamera strahlt mir ein freundliches "Keine Speicherkarte" vom Display entgegen. Kein Fehler ist dämlich genug, als dass er nicht begangen werden könnte. So genieße ich die Mantas und Delfine mal ohne Kamera. Wäre jetzt allerdings Birtes Buckelwal vorbeigekommen, hätte ich mir schon mächtig in den Arsch gebissen, aber glücklicherweise bleibt der Grund zur Selbstverstümmelung aus. Oder unglücklicherweise, wie man's nimmt.
Am Mittag brechen wir unsere Zelte an Punta Tosca schon wieder ab, es geht erneut in die Bucht, in der wir schon vorgestern ein leeres Aquarium vorgefunden haben. Diesmal tauchen wir allerdings woanders, es steht nochmal "Exploration Dive" auf dem Programm. Der erkundete Platz glänzt durch ansehnliche Felsformationen, ansonsten herrscht mit Ausnahme des 2. Galapagoshais am heutigen Tag ziemlich tote Hose.
Knapp zwei Stunden vor Sonnenuntergang begeben wir uns nochmal zu fünft auf eine "Whaling"-Ausfahrt, während der Rest der Truppe tauchenderweise ein kleines Schiffswrack erkundet. Dieses Mal scheinen wir Glück zu haben, eine Buckelwalfamilie döst stationär an der Oberfläche. Wir schalten den Außenborder aus und lassen uns in Schleichfahrt bis auf 20 m herantreiben. Leise geht es ins Wasser, aber als wir langsam beginnen, auf die Wale zuzuschnorcheln, entschwinden sie flugs in die Tiefe. War wieder nichts. Eine halbe Stunde später das gleiche Spiel, wieder eine stationäre Familie, wieder pirschen wir uns leise an, aber kaum sind wir im Wasser, hauen sie ab. Offenbar mögen Wale keine Menschen. Nun ja, wir haben ihnen ja auch einige Jahrhunderte lang gute Gründe dafür gegeben und tun es heute immer noch. Wir kreuzen noch ein bisschen übers Meer und gerade als es schon vorsichtig anfängt zu dämmern, machen wir noch eine Buckelwalfamilie aus, die allerdings ziemlich flott durchs Wasser pflügt. Egal, wir wollen einen letzten Versuch wagen, überholen mit Höchstgeschwindigkeit die ziehenden Wale und schmeißen uns dann in Kamikaze-Manier in die über den Daumen gepeilte Schwimmrichtung, die sie nehmen müssten. Jeglicher Versuch der Geräuschvermeidung ist ad acta gelegt, bei schwimmenden Walen kann man das getrost vergessen. Und tatsächlich haben wir richtig gepeilt, auf einmal tauchen zwei riesige Brustflossen genau vor mir auf. Als die Walmama zum Ausweichmanöver ansetzt, nehme ich Fahrt auf und schaffe es, vielleicht ein, vielleicht zwei Minuten neben ihr herzuschnorcheln, es kommt mir ewig vor. Geschützt unter Mamas Bauch schwimmt das Kalb, während sich ein zweites Weibchen, das als Kindermädchen fungiert, dezent im Untergrund hält. Der dunkle Schatten ist kaum gegen den Meeresboden auszumachen. Was für ein genialer Anblick! Bald reicht es Mama aber mit diesem komischen Wesen, das neben ihr herschwimmt: Sie legt einen Zahn zu, sodass ich nicht mehr folgen kann. Lunge und Oberschenkel brennen nach dieser kurzen Extremsporteinlage. Total euphorisch klettere ich kurz darauf wieder ins Schlauchboot und vier meiner fünf Mit-"Whaler" geht es genauso. Besser kann's nicht mehr werden, letzte Wal-Chance genutzt, denken wir. Da wissen wir noch nicht, was uns vor Roca Partida erwartet ...