September 2009
Die Flieger werden immer kleiner. Da der schnellste Weg zwischen zwei Punkten eine Gerade ist, fliegen wir ein Dreieck und legen noch einen Zwischenstopp in Manihi ein, bevor wir Kurs auf Fakarava nehmen. Die Flughafenfeuerwehr wartet schon gespannt, ob dieser Flieger endlich in Flammen aufgeht, aber im Gegensatz zu Supermärkten brennen Flugzeuge nicht so schnell. Annabelle, die Chefin des Tetamanu Village (unsere Heimstatt für die nächsten 5 Tage), wartet schon mit ein paar Helfern auf uns. Während der Flughafen ganz im Norden des zweitgrößten Atolls Polynesiens liegt, befindet sich das Tetamanu Village ganz im Süden, auf einer kleinen, nur per Boot erreichbaren Insel, auf der es nur ein paar Trampelpfade gibt. Nachdem Gepäck und Vieh auf den Pickups verstaut sind, geht es erstmal 20 min südwärts, bis die Straße endet. Dann wird alles auf ein kleines, halboffenes Boot umgeladen, mit dem wir nochmal 2 Stunden durch die Lagune schippern, wobei wir genug Zeit haben, uns bei strahlendem Sonnenschein in Südseestimmung zu bringen. In Tauchstimmung kommen wir gleich mit, denn da es etwas Welle hat, sind wir klatschnass, als wir in Tetamanu ankommen. Das Village ist sehr übersichtlich, ein auf Stelzen erbauter Restaurantbereich, eine kleine Tauchbasis, zwei Strandbungalows links, vier Strandbungalows rechts und ein Bootsanleger, das ist alles. Im glasklaren Flachwasser des Korallenriffs schwimmt schon das Willkommenskomitee herum. Nach dem Begrüßungsumtrunk richten wir uns in unseren Strandbungalows häuslich ein. Die Bungalows sind "very basic", kein Strom (gibt's nur im Restaurantbereich), kein warmes Wasser, die Dusche plätschert etwas spärlich vor sich hin und die Moskitonetze erinnern verdächtig an Scherenschnitte, weswegen wir lieber unsere eigenen aufspannen. Luxus hat man in Tetamanu nicht, man kann sich voll und ganz auf das Wesentliche konzentrieren und das heißt "Tauchen". Direkt um die Ecke, nur 5 Minuten Bootsfahrt entfernt, befindet sich der Kanal, der die Lagune mit dem Pazifik verbindet. Er hört auf den schönen Namen "Tumako Hua", was soviel heißt wie "Sex der Haie". Haie soll es hier genug geben, zwischen 50 und 400 Graue Riffhaie halten sich ständig im Kanal auf, erklärt uns Nicolas, neben Chef Sanny der einzige Tauchguide unter den Village People. Was mit dem Sex ist, ist jedoch unklar, den werden wir wohl eher nicht zu sehen bekommen.
Am nächsten Morgen um 9 Uhr beginnt unsere Erforschung des Kanals. Da Tauchen nur bei einlaufender Strömung möglich ist, haben wir jeden Tag ein Zeitfenster von 6 Stunden, in das wir unsere Tauchgänge quetschen können. Wir starten über einer großen Sandfläche, auf der sich einige Weißspitzenriffhaie von der nächtlichen Jagd ausruhen. An die Sandfläche schließt sich ein Korallenrücken an, über dem ca 30 Graue Riffhaie schwimmen. Eigentlich treiben sie mehr dahin, haben alle Körperfunktionen heruntergefahren und ruhen sich aus. Hierzu schwimmen sie bedächtig bis zum Ende des Korallenrückens, kehren dann um, lassen sich von der Strömung bis zum Anfang des Kanals treiben, um dann wieder eine Kehrtwendung zu machen und erneut den Kanal hinauf zu schwimmen. So geht das den lieben langen Tag lang, wir könnten uns auf den Boden hocken und den ganzen Tauchgang lang schwimmende Haie angucken. Das machen wir jedoch nicht, sondern lassen uns nach einem zehnminütigen Aufenthalt weiter von der leichten Strömung, die mit maximal 2 Knoten deutlich schwächer ausfällt als auf Rangiroa, weiter Richtung Lagune treiben. Auf unserem Weg begegnen wir jeder Menge kleiner und größerer Fischschwärme, wie Stachelmakrelen, Buckel-Schnappern, Blaustreifen-Schnappern, Soldatenfischen, Großaugenbarschen, Doktorfischen und Meerbarben. Die steil abfallenden Wände des Kanals sind über und über mit äußerst gesund aussehenden Steinkorallen und Schwämmen bewachsen. Vereinzelt sieht man auch mal eine Anemone, Weichkorallen sucht man jedoch vergebens. Der Fischvielfalt tut das keinen Abbruch, ich komme mir vor wie in einem Aquarium: Überall wuseln die unterschiedlichsten Arten von Rifffischen um uns rum. Wo man hinschaut, sind Falterfische, Kaiserfische, Drücker, Doktoren, Zacken-, Großaugen- und andere Barsche, und, und, und. Trompetenfische schwimmen gleich in Fünfergruppen durch die Gegend, junge und alte Napoleons begleiten die Taucher und das Fluchtverhalten der Fische, die sich unter den beiden Pieren ein schattiges Plätzchen gesucht haben, ist nicht vorhanden, an Taucher scheinen sie gewöhnt zu sein. Direkt vor der Tauchbasis ist eine Lücke in der Korallenpracht, die wir für den Ausstieg nutzen. Im Flachwasser sind hier Schwarzspitzenriffhaie auf der Jagd nach leckeren Fischköpfen, die den Weg aus der Küche ins Wasser finden. Wir wiederum sind auf der Jagd nach guten Haifotos, aber bei nur 30 cm Wassertiefe muss man aufpassen, dass man sich nicht den Neo durchscheuert. Der erste Tauchgang war auf jeden Fall schon mal ein guter Einstieg, aber an die 400 Haie aus Nicolas Erzählungen mag ich noch nicht so recht glauben.
Unseren zweiten Abstieg beginnen wir etwas weiter draußen an der Mündung des Kanals in den Pazifik. Steil fällt der Meeresboden hier auf über 60 m Tiefe ab. Auch hier sind die Wände und der Boden des Kanals von Korallen überwuchert. Uns begegnet eine Gruppe von mehreren Dutzend Grauen Riffhaien, die aber respektvoll auf Abstand bleibt. Kurz darauf beginnt sich der ganze Meeresboden zu bewegen. Nein, kein Erdbeben, vielmehr schwimmt unter uns ein riesiger Schwarm Großaugenbarsche. Bald erreichen wir den uns schon aus dem ersten Tauchgang bekannten Korallenrücken. War vorhin hier schon viel los, so hat inzwischen ein wahres Massenschlafen eingesetzt. Mindestens 100 Graue Riffhaie dösen vor sich hin. Was für ein Anblick, so langsam komt bei mir ein Anflug von Galapagos-Stimmung auf!
Wir schaffen es, in unser Zeitfenster noch einen dritten Tauchgang zu quetschen, aber da die Strömung schon gegen null geht, sparen wir uns die Bootsfahrt und steigen gleich an der Basis ins Wasser. Bei unserer Runde durch den Kanal lichten wir jeden Fisch ab, der sich nicht rechtzeitig hinter die nächste Koralle retten kann und treffen auch wieder auf viele graue, schwarze und weiße Riffhaie und zu unserer Verzückung auch auf einige Adlerrochen. Einer von ihnen ist schwanzlos, Ursache wird aber wohl weniger ein Gendefekt sein als vielmehr eine Auseinandersetzung mit einem Raubfisch, aus der der Rochen als Verlierer hervorgegangen ist. Na immerhin ist er am Leben geblieben, so gesehen darf er es wohl als Sieg für sich verbuchen. Wir fühlen uns auch als Sieger und lassen den ersten Tauchtag bei einem leckeren Abendessen ausklingen. Die Verpflegung im Tetamanu Village ist wirklich gut, sieht man vielleicht mal vom gewöhnungsbedürftigen Frühstück ab, welches ich ohne mein mitgebrachtes Nutella nur schwer überlebt hätte. Mittags und abends gibt's dafür leckere warme Mahlzeiten mit viel frischem Fisch, Gemüse und Reis. Und natürlich ein bis zwei Hinano dazu.
Der nächste Morgen beginnt komisch. Beim Frühstück lautet das Briefing von Nicolas noch, 10 Uhr weit raus ins Blauwasser, Haie gucken. Um 9.00 Uhr heißt es auf einmal, Tauchen schon um 9.30 Uhr. Auch gut, wir sind ja flexibel. Sehr verwundert sind wir jedoch, als Sanny das Boot nur auf die andere Seite des Kanals übersetzen lässt, die eine Minute hätten wir auch locker schwimmen können. Völlig perplex sind wir dann, als der Tauchgang entgegen der Schwimmrichtung von gestern GEGEN die leichte Strömung stattfindet. Warum das, hätte uns das Boot nicht zum Eingang des Kanals bringen können? Zeit zum Fotografieren bleibt kaum, da Sanny heute offenbar einen neuen Rekord im Streckenschwimmen gegen die Strömung aufstellen will. Es ist aber auch nicht wirklich viel zu fotografieren, in diesem Teil des Kanals sind die Haie gerade rar. 25 Minuten lang machen wir das Spiel mit, dann haben wir die Schnauze voll, lassen Guide und zwei Kollegen weiter paddeln, drehen um und lassen uns zu dritt mit der Strömung zurück zur Basis treiben, wo wir keine 5 Minuten später ankommen. Den Rest des Tauchgangs hängen wir unterm Pier ab, wo immerhin wie üblich das ganze Riffgetier rumdöst, bevor wir mit etwas dickem Hals das Wasser verlassen. Der Sinn dieser Aktion erschließt sich uns nicht wirklich, aber jegliche Versuche zu erfahren, was sich Sanny, der auch die restliche halbe Stunde weiter gegen die Strömung gepaddelt ist, dabei wohl gedacht hat, verlaufen erfolglos. Dieser Tauchgang war jedenfalls größtenteils vertane Zeit.
Noch während wir etwas angefressen das Tauchgerödel wegräumen, paddelt ein großer Napoleon ins Flachwasser an den Steg. "Was will der denn hier?", denke ich noch, da kriege ich die Antwort schon präsentiert. Offensichtlich kennt man sich schon, der Nappi holt sich aus Sannys Hand einige Leckereien ab. Noch erstaunter bin ich, als uns der Nappi tatsächlich erlaubt, ihn zu streicheln, erst Streicheldelfine, jetzt Streichelnappis, unglaublich! Allerdings fühlt er sich im Gegensatz zu Bébé fies fischig glitschig an, nicht sehr angenehm.
Nach dem Mittagessen ist Wiedergutmachung für den verhauenen Tauchgang angesagt, es geht wieder zu unserem bewährten Korallenrücken, wo wir uns gemütlich auf den Meeresboden legen und die 100 Grauen Riffhaie über uns hinwegziehen lassen. Einige der Haie haben ziemlich lange Nasen und eine kleine schwarze Spitze auf der Rückenflosse. Da haben sich ein paar Schwarzspitzenhaie (die Hochseevariante) unter die vielen Grauen gemischt. Als der Computer so langsam in Richtung 15 Minuten Deko geht, wird es Zeit zum Aufbruch, wir verlassen den Meeresboden und lassen uns mitten durch die Karawane aus Knorpelfischen treiben. Normalerweise mögen sie das nicht so gerne und verdünnisieren sich schnell, weswegen man das möglichst ruhig, mit wenig Atmen und nur dann tun sollte, wenn man sich sicher ist, dass die geneigten Mittaucher einem nicht vor Ärger die Flasche zudrehen, falls die Haie wirklich abhauen. Diesmal hauen sie nicht ab, sodass die Wiedergutmachungsaktion vollständig gelingt.
Mit nur zwei Tauchgängen am Tag bleibt nach dem Tauchen genügend Zeit für andere Aktivitäten, wie Fotos auszusortieren, auf der Terrasse die Nachmittagssonne zu genießen oder einen Inselrundgang zu unternehmen. Ein kleiner Pfad führt durch das Dickicht aus Kokospalmen. Nach handgestoppten sieben Minuten gemütlichen Spazierengehens mit Fotopausen erreicht man ein weiteres kleines Resort, das "Tetamanu Sauvage". Neben ein paar verlassenen Häusern steht noch eine Kirche mit einem kleinen Friedhof, auf dem sich genau zwei verwilderte Gräber befinden. Das war's auch schon, man muss sich ziemlich anstrengen, um für den Inselrundgang länger als 1 Stunde unterwegs zu sein.
An unseren letzten beiden Tauchtagen machen wir keine Experimente mehr, bei allen vier Tauchgängen besuchen wir die Grauen Riffhaie im Kanal und freuen uns über ihr zahlreiches Erscheinen. Besonders der letzte Tag ist absolut fantastisch, statt an der Kanalwand entlang lassen wir uns mitten im Kanal treiben. Wo wir auch hinschauen sind Haie, eine gigantische Schule aus 200-300 Grauen Riffhaien, die das Galapagos-Feeling perfekt macht, schwimmt um uns herum. Das Piepen des Computers ignorieren wir dabei geflissentlich, denn das Korallenriff bietet perfekte Bedingungen für ein entspanntes, halbstündiges Austauchen im 3-6 m Bereich. Immer wieder gerne schauen wir dabei den Schwarzspitzenriffhaien zu und lichten im Freiwasser-Aquarium jeden Falterfisch ab, der es bisher noch nicht zu Pixelehren gebracht hat. Die vier Tauchtage auf Fakarava gehen jedenfalls viel zu schnell vorbei.
Zum Abschluss unseres Aufenthaltes hält Sanny noch ein Schmankerl für uns parat. Er setzt uns zu einer absolut unberührten Nachbarinsel über, wo wir bei einem zweistündigen Spaziergang über die palmenbewachsenen Sandstrände und beim Waten durch kristallklares Lagunenwasser nochmal richtig Südseeflair genießen können.
Dann heißt es Abschied nehmen von Tetamanu, per Boot und Auto geht's zurück nach Fakarava Nord. Aus dem Flieger werfen wir noch einen wehmütigen Blick auf das Atoll unter uns, bevor es unter den Wolken verschwindet. Der Flug zurück nach Tahiti dauert eine gute Stunde, dann setzen wir auf dem Flughafen Faa'a auf. Für die letzten beiden Nächte checken wir im Radisson Resort ein, welches genügend Potenzial bietet, um die letzten verbliebenen Kröten noch anständig auf den Kopf zu hauen. Am ersten Abend gelingt uns das problemlos durch Teilnahme an einem polynesischen Dinner mit Vorführung folkloristischer Tänze. Erstaunlich, was man so alles mit Hüfte und Hintern anstellen kann. Zum Abschluss beziehen die Tänzer das dinierende Publikum in die Show mit ein und versuchen, den Nachwuchsballerinen in einem dreiminütigen Schnellkurs die Grundlagen polynesischen Tanzguts zu vermitteln. Ich hoffe, das Beweismaterial landet niemals im Internet ...
Der letzte Tag in Polynesien wird individuell verschieden gestaltet. Während eine kleine Splittergruppe nochmal schnell nach Moorea übersetzt, um den Buckelwalen einen letzten Besuch abzustatten, begebe ich mich mit fünf Kollegen per Jeep auf eine "Inner Island"-Erkundungstour. Die Exkursion ins Gebirge entlang des Mont Orohena ist sehr lohnenswert und macht einen Heidenspaß. Den ganzen Tag sind wir auf schmalen Gebirgsstraßen unterwegs, baden im glasklaren Wasser des Papenoo-Flusses, begutachten antike Tempel und weniger antike Wasserfälle und genießen die Ausblicke auf die mit Regenwald bewachsenen, steilen Berghänge. Hier die Bravo-Fotostory:
Nach gut 9 Stunden sind wir zurück und treffen die Splittergruppe an, die ebenfalls sehr happy ist: Eine volle Stunde Schnorcheln mit drei Buckelwalen, die von einer Gruppe Pilotwale begleitet werden, hätten mich sicher auch glücklich gemacht ...
Nach kurzer Nacht steht um 5 Uhr morgens der Shuttle vor der Tür und chauffiert uns zum Flughafen. Zwei Stunden später heben wir ab und lassen ein absolutes Traumziel hinter uns zurück. Schade, ich hätte problemlos noch 3 Wochen bleiben können. Wobei ich das eigentlich nach fast jedem Urlaub sage, aber es war selten wahrer als hier ...
Fazit: Die Polynesien-Reise war der absolute Hammer, vielmehr muss man dazu eigentlich nicht sagen. Auf Armlänge an den Buckelwalen vor Moorea – Streicheldelfine, Silberspitzen, Silkies, ein Großer Hammerhai und Mantas in Rangiroa – ein Aquarium und eine Armada von Grauen Riffhaien vor Fakarava, wie ich sie in meinem Leben noch nicht gesehen habe. Spitzen-Tauchziel, einfach hinfliegen und selber staunen!