September 2009
Mit einer Fläche von gut 1600 km² ist Rangiroa nach Kwajalein das zweitgrößte Atoll der Welt. Bei einer Länge von 80 km und einer Breite von 30 km würde Polynesiens Hauptinsel Tahiti problemlos in der Lagune Platz finden. Nur 3000 Menschen leben hier, größtenteils in den beiden Hauptorten Avatoru und Tiputa. Bei unserer Ankunft wartet schon der Shuttle-Bus, die Fahrt ins Novotel, unserer Unterkunft für die nächsten 6 Tage, dauert nur 3 Minuten, da das Resort direkt neben der Landebahn des kleinen Flughafens liegt. Die gut 30 Doppelbungalows versprühen deutlich mehr Charme als die eher spartanisch anmutenden Zimmer im Hibiscus auf Moorea. Zu meinem Erschrecken funktioniert jedoch leider das WiFi nicht, weswegen meine noch auf Moorea sauer erworbenen 5 Stunden Internet-Zugang völlig nutzlos sind. Die Anlage sei schon seit einiger Zeit kaputt, wird mir erklärt, irgendwann soll der Techniker aus Tahiti kommen, aber wann, weiß niemand. Wenn nicht heute, dann halt morgen. Oder übermorgen. Spontan kommt mir das hier sehr ägyptisch vor.
Nun gibt es auf Rangiroa Sinnvolleres zu tun, als im Internet zu surfen, z.B. in der Lagune zu schwimmen, mit einem der Leihkajaks des Hotels durch die Lagune zu paddeln oder - natürlich - tauchen zu gehen. Die 12 km lange Hauptinsel Rangiroas, auf der wir uns befinden, wird an beiden Seiten von schiffbaren Kanälen begrenzt, dem Avatoru Pass im Westen und dem Tiputa Pass im Osten. Kanäle bedeuten Strömung, Strömung bedeutet Großfisch und Großfisch bedeutet "Nichts wie ins Wasser hier". Dem kommen wir am nächsten Morgen direkt nach, pünktlich um 9 Uhr sammelt uns der Abholservice der "Six Passengers", einer von 6 Tauchbasen auf Rangiroa, ein. Der Name drückt aus, dass jedes Tauchgrüppchen maximal sechs Gäste plus Guide umfasst. Umso mehr erfreut uns, dass wir sogar in schnuckelige Vierergruppen aufgeteilt werden. Nett ist auch, dass Ugo, einer der Besitzer, die Tauchgänge mit einer überdimensionalen Videokamera begleitet und man das Ergebnis der Aufnahmen dann käuflich erwerben kann, wenn auch zu Apothekenpreisen, an die wir uns nach einer Woche aber schon gewöhnt haben. Das größte Plus an den Six Passengers sind aber die Guides, die mit Leib und Seele und großem Enthusiasmus bei der Sache sind. Da sieht man über kleine Minuspunkte wie beengter Platz zum Deponieren der Ausrüstung und unbenutzbare Klos locker drüber weg.
Die beiden oben genannten Kanäle sind die einzigen regelmäßig angefahrenen Tauchplätze auf Rangiroa. Unseren ersten Abstieg unternehmen wir bei einlaufender Strömung am Tiputa Pass, der um die Ecke liegt, nur ein paar Bootsminuten entfernt. Zunächst halten wir uns am Riff im Strömungsschatten und beobachten das Leben im Korallenriff, das eine deutlich bessere Qualität hat, als auf Moorea, hier scheinen keine Dornenkronen gewütet zu haben. Ein großer Barrakudaschwarm veranlasst uns zu einem kleinen Abstecher ins Blauwasser, wir verlieren jedoch ziemlich schnell das Interesse an dem Schwarm und widmen uns lieber den drei Großen Tümmlern, die unvermittelt auftauchen und uns ein kleines Stück begleiten. Dafür ist der Tiputa Pass bekannt, es ist einer der weltbesten Plätze für Delfinbegegnungen, da die Delfine das ganze Jahr hier leben und inzwischen auch an Taucher gewöhnt sind. Beim Blick nach unten Richtung Meeresboden bleibt mir der Mund offen stehen, wohin ich auch gucke, schwimmen dort Graue Riffhaie herum, es müssen über 100 Stück sein. Leider befinden sie sich deutlich unterhalb von 40 m und sind daher für uns bei diesem Tauchgang unerreichbar, da unser Grüppchen aus Tauchern mit unterschiedlichen Ausbildungsgraden besteht und die Guides - zumindest am Anfang, wenn sie ihre Gäste noch nicht kennen - sehr auf die Einhaltung der gesetzlichen Tiefengrenzen achten, die in Polynesien vom Ausbildungsstand abhängig sind: Open Water 18 m, Advanced 29 m, ab Rescue oder CMAS ** 40 m. Nachdem es vor Rangiroa einige tödliche Tauchunfälle gegeben hat, taucht auch schon mal unvermittelt die Polizei mit dem Boot an den Tauchplätzen auf und kontrolliert nach dem Tauchgang die Computer. Hat ein Taucher dann die Tiefengrenze überschritten, gibt es richtig Ärger, weniger für den Taucher, sondern vor allem für die Tauchschule, der dann der vorübergehende Lizenzentzug droht. In der Regel reichen die 29 m, die man als AOWD hat, auch absolut aus, in Einzelfällen kann es aber halt sinnvoll sein, auch mal tiefer zu gehen, z.B. wenn 100 Riffhaie bei 45 m rumturnen. Wir lassen uns stattdessen von der einlaufenden Strömung durch den Kanal in die Lagune treiben, begegnen dabei ein paar African Pompanos und schrecken ein paar Weißspitzen auf. Die Strömung im Tiputa Pass kann bis zu 8 Knoten (gut 14 km/h) erreichen, es geht also richtig schön vorwärts. Auf der Fahrt zurück zur Basis begegnen uns noch ein paar Mantas, die sich in der Sonne aalen und unseren ersten Rangiroa-Tauchgang abrunden.
Unser 2. Abstieg ist ein Dämmerungstauchgang am Tiputa Pass, für den uns Pitou, einer der Guides, schon vorher den Mund wässrig macht. Die Sunset Dives seien die besten, weil die Delfine abends in großer Spiellaune seien. Wenn man sie bespaße, blieben sie oft miuntenlang, und ließen entspannt agierende Taucher ganz nah an sich herankommen. Na schaun 'mer mal, was das gibt. Wir müssen nicht lange warten, da tauchen tatsächlich 5 Delfine auf und fangen an, mit uns zu interagieren und Schrauben und Salti zu drehen. Einer lässt uns ganz nah dran und gestattet uns sogar, ihn anzufassen. Was dann passiert, halte ich erstmal für eine Halluzination: Der Tümmler legt sich auf den Rücken und lässt sich von uns unter offensichtlich großem Wohlbehagen den Bauch kraulen, dann wieder stellt er sich senkrecht und lässt sich den Rücken streicheln. Mehrere Minuten geht das so, bis er genug hat und mit seinen auf Abstand gebliebenen Freunden im Blauwasser verschwindet. Wilde Delfine, die sich streicheln lassen, wenn mir das vorher einer gesagt hätte, hätte ich ihn für größenwahnsinnig erklärt, unglaublich! Noch völlig baff dümpeln wir übers Riff, um uns das nächste Schauspiel anzugucken: Massenbefruchtung bei Doktorfischen. Die Weibchen geben zeitgleich massenhaft Eier ins Wasser ab, die wie eine Wolke über den Korallen wabert. Im selben Moment stürmen die Männchen in die Wolke und befruchten die Eier mit ihren Spermien. Auch noch nie gesehen sowas. Vor allem aber der Streicheldelfine wegen wandert dieser Tauchgang auf meine Top-10-Liste der besten Tauchgänge ever. Zurück auf der Basis erklärt uns Pitou, dass nur zwei der Delfine am Tiputa Pass es den Tauchern erlauben, sie anzufassen, das heute war Bébé. Auf den erfolgreichen Einstand genehmigen wir uns zur Happy Hour an der Hotelbar ein paar anständige Pina Coladas.
Unseren 2. Tauchtag beginnen wir mit einem Ausflug zum anderen Kanal, dem Avatoru Pass, der 20 min Bootsfahrt entfernt liegt. Highlight hier sind Silberspitzenhaie, die immerhin bis zu 3 m groß werden können und normalerweise in für Sporttaucher unerreichbaren Tiefen leben. Bis vor wenigen Monaten wurden sie hier angefüttert, um sie nach oben zu locken, aber seit einiger Zeit praktizieren die Tauchschulen das nicht mehr. Vielleicht eine gute Idee, wie dieses Video vom Avatoru Pass zeigt. Auch ohne Anfüttern kommen die Silberspitzen aber nach oben, sobald sie die Bootsmotoren hören und bleiben dann einige Minuten, abhängig davon, wie ruhig oder hektisch sich die Taucher bewegen. Heute scheinen sie nicht so gut aufgelegt, keine 3 min schwimmen 2 Silberspitzen um uns rum, bis sie sich wieder ins tiefere Wasser begeben. Ein paar Graue Riffhaie bleiben da, können uns aber nicht zum Bleiben bewegen. Stattdessen schwimmen wir über das Riff Richtung Lagune. Auf unserem Weg begegnen wir einer kleinen Schule zotteliger Fadenmakrelen, 2 großen Hundezahnthunas, 2 Kröten, mehreren kleinen Makrelenschulen und einem großen Schwarm Großaugen-Stachelmakrelen, die in einer riesigen Spirale über dem Riff stehen. Garniert wird das Ganze von viel Fisch am Riff. Sehr schöner Tauchplatz!
Bei unserer Rückkehr ins Hotel wird uns der Zugang zu unseren Bungalows verwehrt. Stattdessen müssen sich alle Hotelbewohner an der Bar sammeln: Tsunami-Alarm! Um 7.50 Uhr polynesischer Zeit hat ein Erdbeben der Stufe 8 vor Samoa, 2000 km westlich von hier, einen Tsunami ausgelöst, der mit 1-2 m hohen Wellen um 10.30 Uhr vor Polynesien erwartet wird. Beim Blick auf die Uhr stellen wir fest, dass uns das noch genau 15 min gibt, um noch einen Cocktail hinunterzuschütten, wenn schon ersaufen, dann bitte mit Stil. Wir trinken dann aber doch keinen, vielleicht ist es ja ein Fehlalarm und es kommt gar keine Welle, dann wollen wir nachmittags schließlich noch tauchfit sein. Die etwas hektische Dame des Hotels versichert uns auch, dass wir, falls die Welle kommt, in einen "sicheren" Raum gebracht würden. Da möchte ich ja gerne mal wissen, wie der auf einem Atoll, welches den Meeresspiegel um maximal 2 m überragt, aussehen soll. Der Tower des Flughafens? Ich glaube, den Raum gibt's gar nicht, alles Touristenberuhigung. 2 Stunden lang harren wir an der Bar aus, dann vermittelt uns der Hotelmanager, das jetzt 3 Wellen durch seien, ohne Schaden angerichtet zu haben, wir könnten jetzt zurück in die Bungalows. Das wird auch Zeit, ich muss nämlich noch die Akkus für die Kamera aufladen ...
Das Aufladen ist dringend nötig, denn am Nachmittag ist Ködertauchen im Blauwasser angesagt. Dies machen die 6 Passengers nur noch in ganz seltenen Ausnahmefällen und in diesem Fall auf Michaels spezielle Bitte, da er vor einem Jahr hier bei einem solchen Ködertauchgang 20 min lang mit einem Großen Hammerhai (Sphyrna mokarran) tauchen konnte. In der Vergangenheit haben die gehäuften Ködertauchgänge dazu geführt, dass die Haie auch an die Thunfischköder der Fischer gingen, worüber diese natürlich äußerst begeistert waren. Des lieben Friedens willen wurde diese Praxis daher weitgehend eingestellt. Um unseren Köder schwimmen schon nach kurzer Zeit zwei Silberspitzenhaie und ein Seidenhai, der aber nur einen kurzen Blick riskiert und sich dann empfiehlt. Dazu hat es natürlich ein Dutzend Graue Riffhaie. Der erhoffte Hammerhai lässt sich leider nicht blicken, insgesamt muss der Erfolg dieser Aktion daher als "beschränkt" bezeichnet werden. Für Belustigung sorgen noch unsere tauchenden Senioren, die sich beim Versuch eines Action-Fotos ungewollt auf die Ködertonne setzen und prompt das ungeteilte Interesse von einem Dutzend Grauer Riffhaie auf sich ziehen und ein paar Schweißperlen auf den Stirnen der Guides verursachen. Glücklicherweise passiert aber nichts weiter. Nachdem der Köder leergefressen und die Haie verschwunden sind, paddeln wir 20 min durchs Blauwasser, bis wir bei der aufgekommenen Strömung das Riff erreichen, an dem wir den Tauchgang ausklingen lassen.
Tauchtag 3 steht ganz im Zeichen des Tiputa Passes, 3x tauchen wir heute hier ab. Wir nehmen Reißaus vor einem inquisitiven Großen Barrakuda, füttern eine Karettschildkröte, suchen erfolglos nach Großen Hammerhaien, streicheln nochmal die Delfine, vertreiben einen Manta, knuddeln einen Steinfisch und flirten mit ein paar Napoleons. Ein sehr schöner Tag am Kanal.
Schön beginnt auch Tauchtag 4 am Avatoru Pass, unserem 2. und letzten Abstieg hier. Heute sind wir nicht allein, eine 2. Tauchgruppe bevölkert den Kanal. Das scheint den Silberspitzen zu gefallen, heute sind gleich 5 von ihnen da und sie machen keine Anstalten, wieder in ihre angestammte Tiefe zu verschwinden. 20 min lang kreiseln sie um uns rum, was absolut außergewöhnlich ist. Von mir aus könnten wir den ganzen Tauchgang lang da hocken bleiben und ihnen zugucken, aber die anderen wollen weiter und so verlassen wir schließlich die Silberspitzen. Der Rest des Tauchgangs ist eine Kopie unseres ersten Besuchs, der Stachelmakrelenschwarm scheint sich da auch schon häuslich eingerichtet zu haben.
Unsere restlichen 3 Tauchgänge absolvieren wir am Tiputa Pass. Alle drei halten Delfine für uns bereit, die sich aber nicht mehr in Streichelstimmung zeigen. Ihren Platz nimmt eine Karettschildkröte an, die Pitou förmlich anspringt und ihm ein Leckerli aus der Hand frisst. Wieder kann ich nur ungläubig mit dem Kopf schütteln, Pitou scheint ein ganz besonderes Verhältnis zu Tieren zu haben, was bei einem Menschen, der mit Flasche so wendig taucht wie ein Delfin, vielleicht auch kein Wunder ist. Beim 2. Tauchgang checkt uns wieder ein Seidenhai genauestens aus, bevor er uns als "größtenteils harmlos" klassifiziert und uninteressiert weiterzieht. Beim letzten Tauchgang scheinen alle Tiefengrenzen vergessen, wir begeben uns auf die 40-m-Marke, um der Hundertschaft Grauer Riffhaie zuzuschauen. Der Computer piept schon vorwurfsvoll und mahnt zum Aufbruch, als uns in ein paar Metern Abstand ein Hai passiert, der wegen seiner markanten, weil sichelförmigen und hohen Rückenflosse sofort meine volle Aufmerksamkeit hat. Da schwimmt er tatsächlich, Sphyrna mokarran, der Große Hammerhai, völlig ungeplant, ohne Köder und außerhalb der Hammerhaisaison! Wir sind entzückt und kriegen für den Rest des Tauchgangs und des Tages das Grinsen nicht aus dem Gesicht. Als krönenden Abschluss fliegen wir nochmal bei einlaufender Strömung mit Hochgeschwindigkeit durch den Kanal, sitzen unsere 15 min Deko ab und lassen uns dann weit, weit in der Lagune vom Boot einsammeln.
Nachdem wir im Hotel unseren nassen Tauchklamotten zwecks Trocknen strategisch über das Areal verteilt haben, denken wir, dass es ein ruhiger letzter Nachmittag auf Rangiroa wird. Bei dem leichten Kokelgestank, der bald unsere Nasen misshandelt, denken wir uns noch nichts Böses. Als die ersten Rauschschwaden ins Zimmer dringen, fragen wir uns, welcher Idiot da schon wieder seinen Sondermüll im Garten abfackelt, was in Polynesien gang und gäbe ist. Bald wird der Gestank aber so unerträglich und der Qualm so dicht, dass wir mal nach der Ursache schauen. Auf dem Nachbargrundstück steht der Supermarkt, bei dem wir bisher immer unser Mittagessen, bestehend aus Cola und Keksen, erworben haben, lichterloh in Flammen. Sofort fängt der Hotelmanager an, die Dächer der Bungalows mit Wasser zu besprühen, der Funkenflug tut den Holzhäusern sicher nicht gut. Alle Gäste werden Richtung Strand evakuiert, da die im Supermarkt gelagerten Gasflaschen vielleicht noch hochgehen. Bald rückt die Feuerwehr an und nach einer Stunde ist die Situation unter Kontrolle. Gut, dass wir morgen hier verschwinden, denn nun besteht weit und breit keine Einkaufsmöglichkeit mehr, jedenfalls nichts, was man zu Fuß erreichen könnte. Lange wird das aber sicherlich nicht so bleiben, so eine Bretterbude ist ja schnell wieder aufgebaut, viele polynesischen Bauten fallen nicht gerade durch stabile Bauweise auf. Unser Abschiedsabendessen nehmen wir im "Chez Obelix" zu uns, einem kleinen Restaurant ein paar Gehminuten entfernt, wo der Maitre tatsächlich wie der spinnerte Gallier aussieht, aber kulinarisch deutlich mehr drauf hat als Wildschweinbraten. Sehr empfehlenswerter Laden.
Bilanz von Woche 2: Rangiroa ist ein absolutes Traumziel, Großfisch satt und Delfingarantie am Tiputa Pass. Nur die Moskitos haben wir etwas vermisst, komischerweise waren keine da. Mag aber auch am Wetter gelegen haben, an 4 von 6 Tagen hat es geschüttet, die Sonne kam kaum mal hinter den dunklen Regenwolken hervor. Diesbezüglich erhoffen wir uns für die kommende Woche auf Fakarava eine deutliche Verbesserung, tauchtechnisch kann alles so bleiben.